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„Eine klare politische Haltung ist wichtig“

Günther Herbig (re.) im Gespräch mit Oleg Jampolski (li.). Foto: Kun-dai Yang
Günther Herbig und seine Ehefrau, die Pianistin Jutta Czapski, im Gespräch mit Oleg Jampolski (li.). Foto: Kun-dai Yang

Das letzte »Musik-in-Dresden«-Künstlergespräch des Jahres 2015 führte Oleg Jampolski mit dem Dirigenten, der Kurt Masur 1972 als Chef der Dresdner Philharmonie ablöste.  Günther Herbig, geboren in Böhmen, ausgebildet in Weimar, sitzt im klimatisierten Intendantenbüro in Taipeh. Draußen scheint aus dem wolkenlosen Himmel bei 28 Grad die Sonne. In zwei Tagen ist Heiligabend. In zwei Tagen wird Herbig das Nationale Sinfonieorchester zum Weihnachtskonzert dirigieren. 

Foto: Frank Höhler, Archiv der Dresdner Philharmonie

Maestro, wann waren Sie das letzte Mal in Dresden?
Das war vor meiner letzten Japan-Reise mit der Philharmonie. Lange vor den politischen Auseinandersetzungen, die derzeit in der Stadt herrschen.

Wie blicken Sie auf diese Entwicklungen?
Soll ich Ihnen als Amerikaner antworten? Es ist katastrophal für Dresden! Unsere jüdischen Freunde sehen schon wieder das Hakenkreuz über der Stadt. Fürchterlich. Dresden ist weltweit in den Schlagzeilen! Aber nur mit negativen Nachrichten. Sie wollen gar nicht wissen, wie es bei den Amerikanern ankommt, vor allem bei der großen Prozentzahl der jüdischen Bevölkerung. Wir selbst verfolgen diese Themen täglich und sehen es mit großer Besorgnis.

Haben denn Künstler die Aufgabe, sich politisch zu engagieren?
Zumindest hat jeder Mensch die Verpflichtung, das Geschehen um sich herum wahrzunehmen und sich daran zu beteiligen. Ob dazu politisches Engagement gehört, bleibt jedem selbst überlassen. Wenn Barenboim ein Orchester aus Jugendlichen aus Israel und Palästina zusammenstellt, dann ist das ein politisches Statement. Was Schostakowitsch geschrieben hat, ist politische Musik. Wenn man die neunte Sinfonie aufführt, ist es auch politisch. Es klingt schrecklich, weil wir unter Politik ist immer etwas Mieses verstehen. Aber es ist ein Statement! Insofern: Mit unserer Kunst auch auf die Umwelt und die Menschen einzuwirken, das ist absolut unsere Aufgabe. Deshalb ist eine klare politische Haltung seitens der Künstler in Dresden sehr wichtig. Immerhin haben die Künstler in dieser Stadt einen entscheidenden Stellenwert. Wenn der Nachbar in der Staatskapelle spielt, dann weiß man das. So etwas gibt es woanders nur selten.

„In Dresden mussten wir uns nach den Gegebenheiten richten“

Nachdem Sie in den siebziger Jahren eine Amtszeit lang Chefdirigent der Philharmonie waren, wechselten Sie nach Berlin, zum Berliner Sinfonieorchester. Können Sie sich noch an die Abwägung ‘Dresden oder Berlin’ erinnern?
Berlin war in der damaligen Zeit ein Zentrum, wo alles zusammen war, was man für eine Karriere brauchte. Die Schallplatte, die Künstleragentur, Radio, das Politbüro, das Kulturministerium – wenn immer man eine Auslandsreise für das Orchester durchsetzen wollte, war das in Berlin viel einfacher. Das Entscheidende war aber: man hatte mich mit dem Versprechen nach Berlin geholt, dass das Orchester Hausherr des Konzerthauses am Gendarmenmarkt werden würde. Das war nach meiner Erfahrung mit dem Kulturpalast in Dresden der entscheidende Faktor. In Dresden waren wir Mieter und mussten uns immer nach den Gegebenheiten richten. Parteiveranstaltungen hatten immer Vorrang. Dagegen bot sich für mich in Berlin sogar die Möglichkeit, das Haus mitzugestalten. Ich habe mit den Architekten sechs Jahre lang zusammengearbeitet, an vielen Details gefeilt. Ein Haus mit drei Sälen zu führen, die alle dem Orchester zur Verfügung stehen – das war eine wunderbare Vorstellung!

Sie beerbten in Berlin im Jahr 1966 Kurt Sanderling?
Ja, aber vorher haben wir bereits sechs Jahre lang zusammen gearbeitet. Ich war 1966 bis 1972 so etwas wie der zweite Mann im Orchester. Dann bin ich für fünf Jahre nach Dresden gegangen und kehrte 1977 nach Berlin zurück.

Aber auch in Berlin blieben Sie nicht lange. Wieso nicht?
Ein Jahr vor der Eröffnung des Konzertsaals teilte man mir mit, dass das Orchester doch nicht Hausherr werden würde, sondern eine dem Politbüro unterstehende Direktion das Haus führen würde. Ich habe den zukünftigen Direktor persönlich getroffen. Ein stellvertretender Minister für Leichtindustrie, wenn ich mich nicht täusche. Dieser Mann war ganz erregt und voller Vorfreude auf seinen neuen Posten: er war noch nie im Leben in einem Konzert gewesen. Da merkte ich, dass ich noch schlimmer dran war als im Dresdner Kulturpalast. Ich pochte auf meinen Vertrag und sagte: “Wenn dieser Vertragspunkt nicht erfüllt wird, dann gehe ich.” Der Kulturminister Hoffmann sagte dann zu mir: “Wir haben Sie berufen, und wenn wir Sie nicht abberufen, können Sie gar nicht gehen”. Ich bin also gegangen, was mein eh schon schlechtes Verhältnis zur Partei nicht besonders verbessert hat. Ich war sofort eine Persona non grata, wurde von keinem Orchester mehr eingeladen, und meine Aufnahmen verschwanden aus den Regalen. Gott sei Dank hat man man mich noch ins Ausland reisen lassen. Vielleicht, aufgrund des Westgeldes, was ich mitbrachte. Ein Jahr später reiste ich ganz aus.

Sechs Jahre später fiel die Mauer. Welchen Einfluss hatte das auf Ihre Karriere?
Eigentlich keinen. Erst einmal waren wir sehr überrascht. Wir hätten diesem System noch mindestens 50 Jahre gegeben. Ich bin glaube ich sofort nach Dresden gereist, habe aus alter Verbundenheit in Potsdam dirigiert, aber mein Kalender war für die nächsten Jahre voll, so dass es wenig Einfluss hatte. Ich war außerdem zu diesem Zeitpunkt Chef in Detroit und Toronto.

Heutzutage sind Sie viel in Asien unterwegs – warum? und wie kam es dazu?
Die erste Reise nach Asien machte ich 1972 mit der Dresdner Philharmonie – nach Japan. Meine Frau (die Pianistin Jutta Czapski, O.J.) war damals Solistin auf dieser Reise. Wir waren vier Wochen in Japan. Von daher hat sich sofort eine Verbindung geschlossen. Ich war dann regelmäßig bei dem Yomiuri Nippon Symphony Orchestra und den Japan Philharmonic. Daraus ergaben sich dann Hongkong, Singapur und Taiwan. In Taiwan habe ich ab 2008 für zwei Jahre als Treuhänder die Geschäfte geführt zwischen zwei Chefs. Daraus hat sich eine Verbindung ergeben, sodass ich nun jedes Jahr hier bin.

Was für ein Gefühl hat man, als erfahrener Dirigent mit traditionsreichen Orchestern, auf einmal mit so jungen, frisch aus der Taufe gehobenen Orchestern zu musizieren?
Die fehlende Tradition wird durch die enorme Qualität der Musiker kompensiert. Die meisten jungen Musiker haben in den USA, England oder Deutschland studiert. Die Musiker, die hier ins Orchester kommen, haben eine erstaunliche Qualitätsstufe in Technik und Literaturkenntnis. Was hier dagegen notwendig ist: einen Stil zu prägen!

„Dirigieren ist, eine eigene Idee mit dem Orchester zu verwirklichen“

Wie sieht Stilprägung denn aus?
Man muss an vielen Dingen arbeiten, die man sonst für selbstverständlich hält. So ganz bekommt man es aber am Ende doch nicht. Ich erinnere mich an mein erstes Konzert in Dresden nach dem Fall der Mauer. Ich hatte um das gleiche Programm gebeten, das ich fünfzehn Jahre vorher zum ersten Mal als Chef in Dresden dirigiert hatte. Das war Bruckners 5.Sinfonie. Die Pizzicati in den Bässen und den Celli gaben mir nach zwei Takten das Gefühl: “Jetzt bin ich wieder zu Hause.” Das ist etwas, das werden Sie hier in Taiwan nie erreichen. So wie die amerikanischen Orchester keinen Wiener Walzer spielen können und die Wiener keinen Gershwin hinkriegen. Das soll man aber auch anerkennen und so lassen.

Foto: Kun-dai Yang

Wo leben Sie derzeit?
Wir leben seit 30 Jahren in einem wunderbaren Vorort von Detroit. Etwa 50 Kilometer außerhalb. Er ist genauso schön, wie sein Name: Bloomfield Hills! Herrliche Gegend, weit auseinanderliegende Häuser ohne Zäune, freundliche Menschen…

Wovon sie sicherlich nicht sehr viel mitbekommen, weil Sie noch immer viel unterwegs sind.
Sie dürfen nicht vergessen, dass ich ein alter Mann geworden bin. Früher habe ich 45 Wochen im Jahr dirigiert. Das meiste davon außerhalb. Das habe ich dramatisch reduziert auf etwa 20 Prozent meines früheren Pensums. Auch meiner Frau zuliebe, die mich, früher oft als Solistin, heute als Mitreisende, immer begleitet. Und ich werde unsere Reisen noch weiter reduzieren. Ich möchte nicht ganz aufhören, aber ich brauche mehr Zeit für meine Familie.

Sie haben in Berlin bei Herbert von Karajan gelernt. Wie viel Karajan steckt in Günther Herbig?
Ich glaube, das Entscheidende war zu lernen, wie man mit einem Orchester umgeht, wie man probiert. Das war unfassbar eindrucksvoll, wie Karajan genau den Klang und Ausdruck erreichen konnte, den er wollte. Das war prägend. Er hat eine neue Dimension der Orchesterkultur geschaffen. Wir durften neben dem Unterricht seine Proben mit den Berlinern besuchen. Das erste, was ich hörte, war eine Probe des Mozart-Requiem. Die Philharmoniker spielten das Werk von Anfang an sehr schön, Karajan aber war unzufrieden und hat an den ersten acht Takten mindestens eine Viertelstunde gearbeitet. Was er in dieser Zeit mit ihnen machte, war einfach der Himmel. Das habe ich gelernt. Und das ist auch der Grund, warum manche alten Dirigenten, auch Kurt Masur, diesen Heldenstatus haben. Weil sie sich Interpretationen der Werke erarbeitet haben, die über sechzig Jahre reiften.

Kann man solche Dinge im Unterricht, in den Hochschulen überhaupt vermitteln?
Um ehrlich zu sein: natürlich habe ich unterrichtet, aber ich weiß nicht, ob vom puren Unterrichten wirklich so viel zu erwarten ist. Ich glaube, das wichtigste für einen guten Dirigenten ist es, in einer bestimmten Atmosphäre aufzuwachsen; viel zu hören und auch sehr viele Dirigenten arbeiten zu sehen. Dies ist zum Beispiel etwas, was mir gefehlt hat. Ich bin in den fünfziger Jahren in Weimar gewesen – da gab es Hermann Abendroth, der ein großes Vorbild war. Aber andere Dirigenten habe ich zu dieser Zeit nicht kennengelernt. Heutzutage ist eine solche Einfältigkeit unvorstellbar. Aber der reine Unterricht… Einen Takt zu schlagen ist etwas, was man in der Haushaltshilfe in einer halben Stunde beibringen kann. Das wichtigste ist: sich aus den schwarzen Punkten auf dem Papier eine Idee bilden zu können und diese Idee dann mit dem Orchester zu verwirklichen. Das habe ich bei Karajan gelernt! Dazu gehört sehr viel Erfahrung, kein Unterricht. Der Dirigent muss eine exakte Vorstellung vom Werk haben, noch bevor er zum ersten mal vor das Orchester tritt. Alles andere ist Schaumschlägerei.

Außerordentliches Konzert des Chefs im Kulturpalast… (Foto: Werner Wurst)

Wie gut können Sie sich an Kurt Sanderling erinnern?
Sehr gut, wir haben ja sechs Jahre zusammen gearbeitet. Sanderling war sehr, sehr schwierig. Er war geprägt durch sein Schicksal, er war ja jahrelang durch fürchterliche Zeiten gegangen. Er floh als Jude aus Deutschland, kam in die Höhe der Terrorverfolgung in der Sowjetunion, machte die Antisemitismusströmungen und den Krieg durch und kam zurück als größter Feind des Kommunismus. Ich glaube aber, dass er sich mit den Jahren immer mehr gelöst hat. Er wurde immer menschlicher, immer offener. Aber er hat lange Zeit gebraucht, um sich von dem Druck, der auf Ihn ausgeübt wurde, zu lösen.

Wo würden Sie ihre Dresdner Zeit in ihrem musikalischen Schaffen einordnen?
Das erste mal große Verantwortung mit einem großen Orchester. Die ersten Auslandstourneen, bei denen im übrigen meine Frau Solistin war. Diese Erfahrung war für mich insgesamt sehr formend. Die Stärke der Dresdner Philharmonie ist die große romantische Tradition. Ein Orchester, das immer ein fantastisches Blech hatte, fantastische Trompeten und Posaunen. Streicher, die diesen traditionsreichen, expressiven Klang haben, finden Sie woanders nicht so schnell.

Können Sie sich vorstellen, nochmals in Dresden zu dirigieren?
Natürlich! Ich kenne Michael Sanderling gut! Mein Sohn und er sind zusammen in die Schule gegangen. Wir sind mit der ganzen Familie sehr verbunden. Es hat sich bisher einfach nicht ergeben…

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