Was mag der französische Komponist wohl empfunden haben, als vor 75 Jahren zum ersten Mal sein „Quatuor pour la Fin du Temps“ erklungen ist? Ein Quartett für das Ende der Zeit, geschrieben im Winter 1940/41 in einem deutschen Kriegsgefangenenlager. In nahezu bizarrer, jedenfalls eigenwilliger Besetzung Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier, was schlicht der Tatsache geschuldet war, dass Messiaen (seinerzeit bereits ein namhafter Komponist und vor allem ein anerkannter Organist in Paris) just drei Musiker mit eben diesen Instrumenten im Lager wiedertraf.
Wenn die im Jahre 2008 durch ihn begründete Tradition, alljährlich zum Uraufführungsdatum am 15. Januar Messiaens Quartett wieder am Ursprungsort erklingen zu lassen, nun am Freitag fortgesetzt wurde, war das zugleich ein Blick auf Messiaen und das Schicksal seiner Leidensgenossen, wie es auch eine Verneigung vor dem selbstlosen Einsatz von Albrecht Goetze ist. Ohne ihn gäbe es dieses Zentrum so heute sicherlich nicht. Inzwischen ist aber die Zahl all der Menschen stark angewachsen, die von seinem Geist beseelt zu sein scheinen, um die Inspirationen von Messiaens Musik und Goetzes Energie aufzugreifen und in einem grenzüberschreitend humanistischen Sinn fortzusetzen.
Für eine kontinuierliche Förderung des Meetingpoint reicht es jedoch bis heute noch nicht. Da sollten sich Politiker, Privatleute und Vertreter der Wirtschaft noch mitreißen lassen, um den von Idealismus und Selbstausbeutung zehrenden Machern Garantien für die Zukunft zu geben! Wie wichtig das ist, wurde bei der jüngsten Quartett-Aufführung vor internationalem Publikum ebenso deutlich wie beim sommerlichen Workcamp, das junge Menschen aus Deutschland, Polen, Russland und der Ukraine vereinte – während die Regierungen dieser Länder gerade so fatal auseinanderdriften und offensichtlich keinen gemeinsamen Nenner im Sinne von Frieden und Völkerverständigung finden.
75 Jahre nach der Uraufführung des Messiaen-Quartetts haben wir nun am Freitag eine Art Ritual erlebt, ohne dass jedoch Stillstand konstatiert werden müsste. Denn vor dieser gerade an diesem Ort immer wieder äußerst stark ergreifenden Musik stand diesmal ein Klavierstück von Tristan Murail, einem Schüler Messiaens. Und auch das Quartett selbst erfuhr eine neue Form seiner Darbietung: die ersten vier der insgesamt acht Sätze wurden von einer Tanzperformance begleitet. Was hätte der französische Komponist wohl empfunden, da sein „Quatuor pour la Fin du Temps“ zum ersten Mal vertanzt worden ist? Es gibt keine Antwort auf diese Frage, nur Mutmaßungen, Ideen, Gedanken.
Bis nächsten Freitag –
Michael Ernst