Zur Premiere von Pietro Mascagnis »Cavalleria rusticana« und Ruggero Leoncavallos »Pagliacci« an der Semperoper – eine Übernahme von den letztjährigen Osterfestspielen Salzburg – wurde am Wochenende heftig gejubelt. Dabei gäbe es guten Grund zur Kritik.
Aber der Reihe nach. Erst haben Chefdirigent Christian Thielemann und Regisseur Philipp Stölzl das veristische Operndoppel im Salzburger Festspielhaus präsentiert und ernteten gemeinsam mit einem herausragenden Ensemble – Jonas Kaufmann etwa, der in beiden Stücken den grandiosen Heldentenor gab – uneingeschränkten Applaus. Als Koproduktion mit der hiesigen Staatsoper ist die Inszenierung nach Dresden gekommen – und musste wegen der Bühnenmaße kräftig verkleinert werden. Das Resultat ist eine vergleichsweise eigenständigen Fassung, denn als sein eigener Bühnenbildner hat Philipp Stölzl das Salzburger Bühnenbild mit seinen sechs großen Schaukästen auf vier reduziert. Aus anderen Gründen (planerischer und vor allem wohl finanzieller Natur) stand eine komplett andere Besetzung auf der Bühne und teilweise auch im Graben. Anstelle von Thielemann, seit 2013 Künstlerischer Leiter der Osterfestspiele, hatte nun Stefano Ranzani die musikalische Leitung inne. Er stammt aus dem Mutterland des Musiktheaters und überzeugte mit einer gehörigen Portion Italianità, indem er das Orchester zu großer Leistung auffahren ließ, als hätte er mit emotionaler Dramatik im Sound und klangstarkem Bebildern der so spannenden Opern eine Lanze für den Verismo brechen wollen. Wie von Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallo gefordert, sollten dramatische Liebesqualen, Eifersuchtsmorde und theatralisches Spielen im Spiel das Publikum so mitreißen, als geschehe das alles im wirklichen Leben.
Die in beiden Stücken enthaltenen Doppelbödigkeiten nahm sich der theater- und filmerfahrene Philipp Stölzl beherzt vor und setzte in seinen Bühnenbildern schlüssig um. Das sizilianische Ostern der »Cavalleria« zeichnete er als Schwarzweiß-Landschaft wie aus dem Bilderbuch von vor gut einhundert Jahren, angeregt durch Genrebilder des Zeichenpioniers Otto Nückel. Stölzl macht in den einzelnen Schaukästen manche Gleichzeitigkeiten des Handelns deutlich und schafft damit zusätzlich Spannung, weil das Publikum hintergründige Entwicklungen oft schon angedeutet bekommt. Liebe, Betrug, Eifersucht und blutige Rache stehen in einer hermetischen, von mafiös-familiären Strukturen geprägten Welt. Rücksichtslose Verliebte haben da kaum eine Chance. Mit »Pagliacco« geht’s dann in den Sommer. Dazu werden Regie und Ausstattung überbordend mit Farbe gefüllt, was sich auch in den Kostümen zeigt. Die Szenerie des Bajazzo scheint vor gauklerhafter Freude überzuquellen; besagte Gleichzeitigkeit findet mal auf der Bretterbühne und im danebenstehenden Gardeobenwagen, mal aus Sicht des Bühnenpublikums und schließlich als Blick in den stilisierten Liebeswald statt. Mit jedem Perspektivwechsel strebt die Komödie allerdings ihrem tragischen Ausgang zu.
Im Gegensatz zum Breitband-Original in Salzburg musste in Dresden auf manche Nahaufnahmen und Projektionen verzichtet werden. Im direkten Vergleich mag das ein Verlust sein, ohne dem hat das Konzept aber ähnlich gut und vor allem recht spannend funktioniert. Satter Orchesterklang mit sinnlichem Streicherschmelz, schmetterndem Blech und drängendem Holz unterstützt diese Spannung. Maestro Ranzani setzt Akzente und koordiniert Details stets mit dem Blick für das Ganze. Ihm zur Verfügung steht ein mit Hingabe agierendes, stimmlich bestens präpariertes Solistenensemble. Sonia Ganassi als betrogene Santuzza ist hinreißend, in Stimme und Spiel höchst berührend. Teodor Ilincais steht als Turiddu etwas in ihrem Schatten und forciert daher mit tenoralem Furor. Dem erliegt Christina Bock als übermütig liebestolle Lola, die ihrem Gatten Alfio die Hörner aufsetzt, was den zu einem „Ehrenmord“ treibt. Sergey Murzaev rächt sich in diesem Part mit enormer Präsenz – und knüpft auch im »Pagliacci« die Stricke aus persönlicher Enttäuschung heraus als gebrochener Wüstling Tonio. Dort beherrscht Bajazzo Canio seine Mitmimen wie ein Despot, worunter die betörende Nedda ganz besonders leidet. Veronica Cangemi beherrscht diese Zerrissenheit zwischen Gönner und Geliebtem, überbrückt das Spiel im Spiel mit schlankem Sopran und treffsicheren Koloraturen. Mario Cassi als kurzfristig eingesprungener Silvio ist ihr ein idealer Partner. Beide Figuren bleiben auf der Strecke, nachdem Vladimir Galouzine als Canio mörderisch Rache geübt hat und nach einem Abend voll wuchtig tenoraler Kultur das Ende der Komödie verkündet. Bis in kleine und kleinste Nebenpartien hätten alle Mitwirkenden dieses Operndoppels würdigende Erwähnung verdient, insbesondere der Staatsopernchor mitsamt Kinder- und Extrachor.
Nun aber doch die Kritik an dieser unbedingt sehens- und hörenswerten Produktion: Sie steht in dieser Spielzeit nur noch dreimal auf dem Programm. Also rasch hingehen, bevor es endgültig heißt: „La commedia è finita!“