So ein Haus wie die Semperoper kann ja auch nichts dafür. Nichts für die Nazi-Horden, die im Fackelschein vor seiner Fassade aufmarschiert sind, nichts für die Bundeswehr-Truppen, die den Theater- zum Aufmarschplatz ihrer martialischen „Zapfenstreiche“ missbrauchen. Die Semperoper kann auch nicht für das Gebrüll und Geblöke, dass seit mehr als einem Jahr an fast jedem Montag vor ihren Eingängen ertönt. Dem setzt das Haus seit einigen Wochen wohlüberlegte Sprüche von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entgegen, die auf einem Großbildschirm in der Exedra zu sehen sind. Eine intelligente Form der Wiedergutmachung.
Die Semperoper, altes Haus, sie kann auch nichts für die Opernbälle, weder für die selbsternannte Prominenz drinnen auf dem teuren Parkett, noch für all die Diederich Heßlings draußen auf dem Pflaster, die sich nicht zu schade sind, als gaffendes Publikum den Ballgästen genau diese Prominenz auch noch zu attestieren. Das ist nicht wiedergutzumachen.
Dass zu solchen Bällen der sogenannte Georgs-Orden unters Volk geworfen wird, der auch mal auf eine waschechte Demokraten-Brust wie jene von Ex-K.G.B.-Offizier Wladimir Putin traf und diesmal dem Politik-Versager Christian Wulff (derzeit Berater einer Schweizer Immobilienfirma) angehängt werden soll, ist regelmäßig mit der Verleihung des Dresden-Preises mehr als aufgewogen worden.
Der wird in diesem Jahr an Daniel Ellsberg gehen, einem Mann, gegen den all die Stars und Sternchen des Balles trübe verblassen. Henry Kissinger zufolge sei er „der gefährlichste Mann Amerikas“ gewesen. Einer der mutigsten war und ist Ellsberg auf jeden Fall, denn seiner Tat war es zu verdanken, dass 1971 mit der Enthüllung der Pentagon-Papiere die Wahrheit über den Vietnam-Krieg der U.S.A. ans Licht kam. Vor allem wurden damit die Lügen öffentlich, mit denen die Welt getäuscht werden sollte.
Daniel Ellsberg riskierte damit sein Leben, wurde vom F.B.I. gejagt und galt vielen Menschen in seiner Heimat als Verräter, anderen als Held. Über die Affäre stürzte der sich in seiner Wut tölpelhaft aufführende Richard Nixon – und Daniel Ellsberg stieg auf zum „Urvater der Whistleblower“. Wer ihn als Friedensaktivist bezeichnet, dürfte ihm eher gerecht werden.
Zwar wartet die Welt noch immer auf eine Gestalt, nein, eine Persönlichkeit, die ihr die wahren Hintergründe der von George W. Bush angezettelten Kriege gegen Afghanisten und den Irak erklärt – einen wie Daniel Ellsberg hat es 2002 leider nicht gegeben. Sonst hätten zahllose Verbrechen und all ihre Folgen vielleicht gar nicht stattgefunden …?
Ellsberg jedenfalls, ein inzwischen 84jähriger Mann mit mehr als 80 Festnahmen, weil er wieder und wieder gegen Krieg und Gewalt protestierte, er ist ein absolut würdiger Preisträger. Er steht damit in einer Reihe mit Michail Gorbatschow und Daniel Barenboim, mit dem Kriegsfotografen James Nachtwey, dem Sowjetoffizier Stanislaw Petrow, der sich 1983 weigerte, auf den berüchtigten Roten Knopf zu drücken, mit dem einstigen Kindersoldaten Emmanuel Jal und zuletzt mit Edward Windsor, genannt Herzog von Kent. Menschen, die den Frieden als das höchste Gut der Menschheit ansehen und sich dafür einsetzen.
Am 27. Februar wird der Friedenspreis in der Semperoper an Daniel Ellsberg verliehen. Die Laudatio hält Jakob Augstein, Chefredakteur der Zeitschrift „der Freitag“, zugeschaltet wird aber auch Edward Snowden, der vor drei Jahren mit seinen Enthüllungen krimineller Spionage-Machenschaften die N.S.A.-Affäre ausgelöst hat – und dafür noch immer bedroht wird. Für den passenden Sound sorgt die Band Woods of Birnam.
Semperoper, altes Haus, da machst Du was richtig!
Bis nächsten Freitag –
Michael Ernst