Mit anhaltendem Beifall wurde die Premiere des Spiels in einem Akt »Der Kaiser von Atlantis« von Viktor Ullman in der Jungen Szene der Semperoper gefeiert. Eine plastische Inszenierung sicherte der Oper unmittelbare Wirkung. Schon das Bühnenbild von Christian Andre Tabakoff schuf eine Atmosphäre, die jedem Freund utopischer oder archaischer Betrachtung jenes sagenumwobene Atlantis lebendig werden ließ. Eine Art Kommandostand wie bei Jules Vernes Kapitän Nemo, der Turm eines U-Bootaufbaus tat ein übliches, jenes Unterwasserreich Atlantis bildhaft anzudeuten. Und Christiane Lutz vermochte mit großem Geschick darinnen jene Geschichte anzusiedeln, die vom Tod handelt, der den Menschen das Sterben verweigert, weil der Kaiser des Atlantis-Reiches Kriegsopfer braucht, die er wegen der Todesverweigerung als mitleiderregende Krüppel kaum noch einsetzen kann.
Das „Spiel“ beginnt nach der Präsentation der Personage in Art von Alban Bergs »Lulu«-Prolog durch den „Lautsprecher“ (wirkungsvoll personifiziert durch Matthias Henneberg). Mit dem Streit zwischen Tod und Harlekin über schlechte Zeiten ohne wahrhafte Helden gibt es eine erste Einschätzung der Lage. Und auf dem Schlachtfeld setzt sie sich fort mit den schwerstverwundeten, aber nicht sterben könnenden Soldaten. Ein Kriegerpaar begegnet sich, erschießt sich, lebt dennoch weiter und verliebt sich. Das fördert Fantasien vom friedlich-idyllischem Träumen. Am Ende muss der Kaiser einsehen – soweit ist er Mensch –, dass die Todesverweigerung aufhören soll. Er bietet sich selbst so an, dass der Tod entsetzt ist und ihn, statt ins massenvernichtungsbereite Atom-U-Boot steigen zu lassen, sterben lässt. Das Leben kehrt zurück!
Viktor Ullmann, der die Komposition 1943/44 im KZ Theresienstadt schrieb, bevor er nach Auschwitz deportiert wurde, schuf eine Musik, die den begabten Schönbergschüler in Wien und Assistenten von Zemlinsky in Prag als Kenner musikalischer Gestaltung moderner Musik nachwies. Zwischen Alban Bergs Schreibweise, atonale Klangbilder mit Volksliedintonationen wie „Maikäfer flieg…“, Deutschlandhymne oder protestantischer Choralmelodik zu verbinden und Kurt Weills Songstil entfaltet sich jene treffende Klangsprache, die eine musiktheatralische Atmosphäre schafft, die verständlich ist und zu Herzen geht.
Johannes Wulff-Woesten gelang mit seinem Projektorchester aus Streichern und Bläsern sowie Harmonium, Klavier, Cembalo und Schlagwerk Klangfarben zu realisieren, Gestaltungsformen zu erarbeiten, die ahnen lassen, was für ein hochbegabter Komponist der 46jährige Ullmann war.
Das Sängerensemble, das hier klangvoll mitwirkte, stellte auch in der Umsetzung der Regie von Christiane Lutz die Charaktere ausdrucksstark vor. Tilmann Rönnebeck als markanter Bass erfasste die prägende Rolle des Todes(mit einer menschlichen und einer technisiert gestalteten Hand) und den ambivalenten Duktus seiner Figur beeindruckend, während der Tenor Aaron Pegrams als artistisch sich einbringender Harlekin die spaßige Seite des Spiels akzentuierte. Sebastian Wartig berührte in seiner Partie als einsamer Kaiser mit einer gewissen baritonalen Würde. Das liebende Menschenpaar von Emely Dorn und Simeon Esper vermittelte zwar in militanter Kleindung etwas von menschlicher Zuwendung, aber auch von gewohnt disziplinierter Befehlsausführung, machte die Tragik dieser kriegerischen Welt deutlich. Der Diener kaiserlicher Befehle, der Trommler mit der Altistin Gala El Hadidi, hatte in scharf militärischem Ton die kämpferische Atmosphäre aufrecht zu erhalten. Alles in Allem war die Besetzung treffend ausgesucht und vermochte die Handlung unmittelbar lebendig werden zu lassen.
Die tragischen Umstände beim Entstehen der Oper in Theresienstadt wurden nicht szenisch mitgestaltet. Sie klingen aber nach im Besucher, der sie kennt, und übt so in der Aufführung in indirekter Weise Wirkung aus.
Friedbert Streller