Der Lette Andris Nelsons war bereits in der Saison 2013 mit Schostakowitschs Fünfter Sinfonie zu Gast in Dresden und kam diesmal mit dessen Achter zur Staatskapelle in die Semperoper. Wie damals faszinierte er auch diesmal mit einer dynamisch packenden Interpretation. Auch die anderen Werke des Abends waren bestimmt von tragischen Reflektionen der Jahre des Zweiten Weltkriegs.
Benjamin Britten, der mit seinem Violinkonzert von 1939 Vorahnungen der kommenden Katastrophe erfasste, ging in seiner Oper Peter Grimes zur gleichen Zeit dem tragischen Schicksal des Fischers Peter Grimes nach. Die im Konzert erklingende Passacaglia ließ in vielfarbigen Klangbildern nicht nur die Szenerie des Meeres wirksam werden, sondern auch den tragischen Untergrund der unerbittlich voranschreitenden Geschichte der Oper. Nelsons vermochte in der Passacaglia mit feinem Klangsinn die Variationen über dem ostinaten Bass bewegend auszugestalten. Was hier noch in fast impressionistischer Malerei verhaftet blieb, gewann in Bernd Alois Zimmermanns Trompetenkonzert an historisch plastischer Zeitbezogenheit. Der in Köln aufgewachsene Komponist des Jahrgangs 1918 gehört zu jener Generation, die den Krieg unmittelbar erlebte und überlebte. Dies prägte seine kritische Haltung zum deutsche Nationalgeist: „O Deutschland… wie ist Dein Volk zuschanden geworden…“ schrieb er 1946. Etwas von jener Verstörtheit lebt nach auch in seinem Trompetenkonzert (1951-1955), das er darüber hinaus unter dem Eindruck der amerikanischen McCarthy-Ära und den Auseinandersetzungen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und der weißen Polizeigewalt skizzierte. Deshalb nahm er die Melodie des Spirituals „Nobody knows de trouble I see“ auf, unterwarf es einem zwölftönig strukturierten Umfeld, setzte sie als Cantus firmus darüber und nahm das motivische Material als Grundlage für die Gestaltung des einsätzigen Werkes. So verbanden sich jazzige Elemente mit den Traditionen moderner Musik. Der schwedische Trompeter Hakan Hardenberger aus Malmö, der auf beiden stlistischen Gebieten sich zu Hause fühlt, erwies sich als kongenialer Interpret, traf mit professioneller Exaktheit und Einfühlung den „Ton“ zu bewegender Gestaltung dieses zwischen strenger Fassung und fast improvisatorischer Ausführung angesiedelten Werkes.
Das begleitend mitgestaltende Orchester unter dem lettischen Dirigenten entfaltete sich zu gestalterischer Größe in Schostakowitschs Achter Sinfonie. Natürlich ging es hier mehr als in der „Leningrader“, der Siebenten, die unmittelbar mit dem Kriegsschicksal der Newastadt verbunden ist, um verallgemeinernde Reflexion der Ereignisse, um die menschlichen Folgen, weniger um die Darstellung des Kampfgeschehens also mehr um ein Requiem. Dieser weitere Blick, die tiefe Trauer und Melancholie, die das Werk ausstrahlt, hat die Aufführungsgeschichte von der Uraufführung 1943 in Moskau an überschattet. Von Staats wegen fehlte Stalin der Heroismus des Siegers. Man mochte solch nachdenklich machendes Werk nicht und führte es in der Sowjetunion nur selten auf.
Aber – wer diese Sinfonie hört, bleibt nicht ungerührt. So geschah es auch im Konzert der Staatskapelle. Andris Nelsons gab eine packende Gestaltung, zwang zum Mitfühlen und Mitdenken. So ist es kein Wunder, wenn Benjamin Britten, der Schöpfer des War Reqiems und Freund Schostakowitschs, gerade dieses Werk so schätzte: Nachdenkliches steht neben Aggressivem, Ernstes neben bösartig Groteskem. Aber auch – wie in der Toccata des dritten Satzes – wird der kriegerische Kampf unmittelbar nacherlebbar gestaltet. Am Ende des fünfsätzigen Werks, nach einer zur Ruhe zwingenden Passacaglia, herrscht im Finale ein ruhiges Klangbild, kammermusikalisch gelockert. Nur kurz vorm nachdenklich verklingenden C-Dur-Schluss wird der Aufschrei des ersten Satzes zitiert, verweist auf die Ursache, mahnt.
Die Aufführung faszinierte und packte die Zuhörer auf solch unmittelbare Weise, dass lang anhaltender Beifall die Leistung würdigte.
Friedbert Streller