Die Frauenbewegung beißt sich die Zähne dran aus, der Kreuzchor bleibt jugendhaft männlich. Er hat ein beträchtliches Alter erreicht, auch wenn das genaue Gründungsdatum eher im Dunklen liegt, und ist dabei doch immer frisch geblieben. Über die Wirren der Jahrhunderte ist er im Fußballstadion und beim Opernball angelangt, gilt gar als Marketinginstrument der Kunst- und Kulturstadt; er ist bis hin nach Asien bekannt und gefragt – und meistert bis heute den doppelten Spagat zwischen Tradition und Moderne, zwischen antiquiertem Kirchenchor und aktueller Weltlichkeit.
Sein Geburtstagskonzert absolviert der Kreuzchor heute nicht in der namensgebenden Kreuzkirche, sondern in der Semperoper. Erstaunlicherweise stehen weder Schütz noch Mauersberger auf dem Programm, sondern Monteverdi, Händel, Weber, Homilius und Bach.
Letzterer ist Thomaskantor gewesen und schrieb „seinen“ Thomanern unendlich viel Literatur auf die Leiber, respektive in die Stimmbänder. Zum Leipziger Jubiläum gab es Uraufführungen en masse, das hätte ein Vorbild für Dresden sein können. Doch weit gefehlt: Dresden besinnt sich, wie beinahe immer, auf Tradition. Und wirkt selbst da seltsam disparat, ja geradezu unentschieden.
Dabei sind dem Chor namhafte Künstler entwachsen, auch und gerade in der jüngeren Neuzeit. Peter Schreier konstatiert aus dem Ruhestand, er wäre ohne den Kreuzchor nie das geworden, was er zeitlebens war. Rudolf Mauersberger sowie eine strenge Musikalität hätten ihn grundlegend geprägt. Allerdings räumt der langjährige Startenor, den man wirklich und unübertrieben so nennen darf, ein, dass die musikalische Intelligenz der Kruzianer heute ein nie dagewesenes Niveau erreicht habe.
Andere Ex-Kruzianer halten sich da etwas bedeckter, mäkeln wohl auch vorsichtig an den pädagogischen Kompetenzen von Mauersberger, nörgeln am heutigen Kreuzchor-Profil. Und die Jungs selbst? Die sind stolz, hier eine unvorstellbar ehrwürdige Tradition fortsetzen zu können und sie in der Gegenwart zu etablieren. Darauf schließlich kommt es auch an.
Alles Gute also für die nächsten 800!
Bis zum nächsten Freitag –
Michael Ernst