Am vergangenen Wochenende gab es in der Semperoper mit der Staatskapelle und in der Kreuzkirche mit der Philharmonie zwei interessante Konzerte, die neben den beiden Uraufführungen Werke von Beethoven sowie Schubert und Haydn vorstellten. Das Staatskapellenkonzert, das Neunte der Saison, und ein Beethovenabend wurde von dem Kalifornier, aber längst in Europa heimisch gewordenen David Robertson geleitet. Es vertrat den erkrankten Christian Thielemann, dem das Uraufführungswerk gewidmet ist, und schuf eine Atmosphäre nicht nur mit der »Elegie« von Peter Ruzicka, sondern auch mit einer hinreißenden Vierten des Wiener Meisters. So plastisch und packend hörte man die selten gespielte Sinfonie noch nie. Ganz neue Seiten dieses merklich in der Nähe der Oper »Fidelio« entstandenen Werkes offenbarten sich. Wer programmatisch denken wollte, konnte viele Seiten vom »Kerker« des Adagio vom Anfang bis zum Jubel des Finales, in ungeahnt geschwindem Tempo von Dirigent und inspiriert mitgehender Kapelle überzeugend umgesetzter musikantischer Gestaltung erleben. Man mag im zweiten Satz an die Angriffe Pizarros an das Paar Leonore/Florestan denken (Die Pauken mit markant harten Schlegeln geschlagen!). Aber auch, wer das Werk einfach als musikalisches Erlebnis aufnahm, war begeistert von der Frische, die sich von dem Dirigenten auf das Orchester übertrug.
Als sensibler Dirigent offenbarte sich der Brite auch in jenem Klangstück, das Peter Ruzicka mit seiner zur Uraufführung angenommenen »Elegie« mit dem Untertitel »Erinnerung für Orchester« gestaltete. Sie erfasst mit nicht geringerem Feingefühl klanglich diffizil jene ‚Erinnerung‘ an Richard Wagner, die er aus einem Motiv heraus entwickelte, das der Bayreuther Meister während der Arbeit an Tristan 1858 niederschrieb und kurz vor seinem Tode seiner Cosima zueignete. Es entstand eine Art sinfonischer Metamorphose für Streichorchester mit 40 Solostreichern, drei Flöten und Schlagwerk und ließ so das Wagnersche Thema aus zarten Klangwolken heraus entstehen. Die Wirkung dieser lockeren Flächen der Streicher und der Schattenklänge der Flöten, die sich immer wieder zu dichter Thematik und harmonischen Akkordbildungen fanden, war von zauberhafter Klanglichkeit, beeindruckend, und voller Faszination. So konnte der anwesende Komponist sich selbst bei dem Dirigenten und dem sensibel mitgehenden Orchester bedanken.
Das Konzertwerk des Abends war Beethovens B-Dur-Klavierkonzert (zwischen 1786 und 1798 entstanden), das erste der fünf einschlägigen Werke Beethovens. Der in Israel und den USA aufgewachsene Usbeke Yefim Bronfman stellte das Werk mit Spielfreude und einer mehr romantischen als klassischen Stilistik vor. Seine gefeiert aufgenommene Schumannsche Zugabe zeigte dies auch deutlich. Sein Beethovenbild wird Mitte der Woche mit dem 5.Klavierkonzert und dem Tripelkonzert mit ihm sowie Anne-Sophie Mutter (Violine) und Lynn Harell (Cello) und der Staatskapelle erneut zu bewundern sein.
Die andere der beiden Uraufführungen des Wochenendes fand im Rahmen der Festwoche zur 800-Jahrfeier des Kreuzchores mit der Philharmonie in der Kreuzkirche statt. Torsten Rasch, einst Mitglied des Chores und Absolvent der Dresdner Musikhochschule (Schüler von Rainer Lischka), stellte sein Konzert für Violine und Orchester »Tropoi« vor. Solist war Wolfgang Hentrich, der an der Entstehung dieses Auftragswerkes der Philharmonie und zweier amerikanischer Orchester beteiligt war. Mit technischer Finesse und expressiver Ausgestaltung seiner Partie hatte er wesentlichen Anteil an dem durchschlagenden Erfolg (ergriffenes, langes Schweigen am Ende!).
Das Werk kennzeichnete der Komponist mit »Tropoi«. Da sich das Programmheft ausschwieg, was er damit meint, ist anzunehmen, dass hier wie beim byzantinischen oder gregorianischen Tropus bestimmte Tonarttypen und Impulsmotivik verwendet werden, deren Ausarbeitung im Werk erfolgt. Da ein umfassendes Orchester diese vom Solisten vorgegebenen Muster ausarbeitet, entsteht in vier Sätzen eine breit angelegte Bilderfolge, die mit »Descent« beginnt und mit »Ascent« endet, also Ab- und Aufstieg als Ausgang und Ende festlegt. Dazwischen geschehen unheimliche Klangereignisse, mit denen der Solist umzugehen hat und die er meistern muss. Von Flageolett-Andeutungen bis zu zupackend virtuosen Abschnitten ist der anspruchsvolle Solopart gefordert. Und Wolfgang Hentrich gelang bei all diesen Klangentwicklungen, die oft im vollen Blechsatz zu Brucknerhaften Choralbildungen führten, die Oberhand zu gewinnen. Mit plastisch gestalteten Klangbildern, die den erfahrenen Filmkomponisten ahnen lassen, entsteht ein Werk, das weit über eine halbe Stunde zu packen versteht, fast apokalyptisch aufbrechende dramatische Szenen sowie hell und klangschön sich ausbreitende Kantilenen einschließt. Dem britischen, in Zürich ausgebildeten Dirigenten Leo McFall gelang es, Ausgewogenheit von Klang und Ausdruck bei den gepackt mitgehenden Philharmonikern abzurufen.
Was am Anfang bei Franz Schuberts Ouvertüre zur »Die Zauberharfe« (D 644) von 1820, die eigentlich bekannter ist als Vorspiel zum Schauspiel »Rosamunde« (D 997) von 1823, noch allzu monumental wirkte, das gewann an klassischer Klarheit bei Haydns B-Dur-Sinfonie von 1792, der ersten der Londoner Sinfonien, die in düsterem b-Moll beginnt, einen langsamen Satz zum Gedenken an den geraden verschiedenen jungen Freund Mozart einbezieht und nach einem bewegten Menuett in schnellstem Tempo jubelnd befreiend ausklingt. Dieses Finale bezog auch das Solo des Konzertmeisters Ralf-Carsten Brömsel ein, so dass Musizieren in musikantischer Frische ablief.
Friedbert Streller