Großer Bahnhof an der Dresdner Semperoper. Keine Premiere, keine Neuinszenierung, sondern, beinahe im Gegenteil, die 112. Vorstellung des »Lohengrin« von Richard Wagner. Eine Produktion aus dem Jahre 1983! Bei aller Wagner-Liebe in Sachsen: es muss schon einen besonderen Grund dafür gegeben haben, dass die Karten seit Monaten ausverkauft waren und auf diversen Schwarzmärkten für horrende Preistreiberei gesorgt haben sollen.
Dieser besondere Grund hat einen Namen: Anna Netrebko.
Die russische Primadonna gab in Dresden ihr Wagner-Debüt als Elsa, und das unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann, dem derzeitigen Wagner-Experten schlechthin und Chefdirigenten der Wagnerschen Wunderharfe. Dieser »Lohengrin« war in der Tat ein Fest der Stimmen, ein Fest der Musik. Was sicherlich auch an Anna Netrebko, aber eben nicht nur an ihr gelegen hat. Ihre Stimme befindet sich deutlich hörbar im Wandel, die russische Primadonna hat inzwischen Wagner-Reife erlangt – und das Publikum damit auch überzeugt. Besonders auffällig war ihr Bemühen um höchste Textverständlichkeit. Fürs Publikum hätte es der Übertitel also gar nicht gebraucht.
Anna Netrebko war sicherlich sehr gründlich vorbereitet, zumal diese Elsa ja lange genug geplant gewesen ist. Wie sie vorab im Interview eingestand, war ihr diese Partie ganz offenbar eine Herzensangelegenheit: „Mich spricht dieser wunderbar vielseitige Charakter sehr an, zumal Elsa sich weiterentwickelt. Es gibt viele stille Momente in dieser Oper, so dass Maestro Thielemann mich gelegentlich bat, die Intensität etwas zurückzunehmen. Im nächsten Moment aber wird es wieder hochdramatisch. Ich mag Elsas Unschuld, die in der Musik zum Ausdruck kommt, die beinahe andächtigen Momente. Wenn sie dann aber anfängt zu zweifeln, dann wechseln Tonart und Rhythmus, das ist alles ganz klar herausgearbeitet. Ich kann Leute gar nicht verstehen, die finden, Elsa sei kindlich naiv. Für mich ist sie eine Frau mit all ihren Selbstzweifeln.“
Um eine neue Partie zu erlernen, veranschlage sie normalerweise 14 Tage, so Anna Netrebko. Für diese Rolle habe sie sich sechs Wochen Zeit genommen. Und dennoch – oder gerade deswegen? – wirkte sie zu Beginn so konzentriert, dass ihr die spielerische Leichtigkeit etwas abging. Erst im Laufe des Abends schien sie darstellerisch gelöster zu sein. Was freilich auch damit zu tun hatte, dass sie als Star so sehr im Mittelpunkt stand. Glücklicherweise übertrug sich das nur bedingt, da schon die Inszenierung von bzw. (wie im Programmheft ausdrücklich erwähnt) nach Christine Mielitz nicht um Elsa herum gestrickt ist. Auch die aktuelle Besetzung war auf Augen- und Ohrenhöhe erlebbar: Piotr Beczala als Lohengrin – ebenfalls ein Rollendebüt – war stimmlich grandios, stellte schöne Nuancen heraus und beschränkte sich nicht nur auf den Tenor als Strahlemann. Georg Zeppenfeld als Wagner-erfahrener König Heinrich erwies sich mit nobler Stimmführung und vortrefflicher Ausstrahlung.
Für mich und unüberhörbar weite Teile des Publikums die eigentliche Favoritin des Abends war aber Evelyn Herlitzius als unheimliche Ortrud; stimmlich und darstellerisch eine Glanzleistung, die ihr Aufeinandertreffen mit Elsa psychologisch reifen ließ und geradezu teuflische Momente herausgekehrt hat. Sehr stimmschön agierte auch Tomasz Konieczny als Telramund, im Gegensatz zur sehr prononcierten Elsa-Debütantin gab es bei ihm noch Gestaltungsraum, was die Wagner-Sprache betrifft. Die wurde ansonsten auch in kleineren Partien wunderbar formuliert, ob Derek Welton als Heerrufer oder die intriganten Edlen von Tom Martinsen, Simeon Esper, Matthias Henneberg und Tilmann Rönnebeck. Eine weitere Hauptrolle – neben dem hier etwas steifen Staatsopernchor – kam natürlich der Sächsischen Staatskapelle zu, die Christian Thielemann stets in den Dienst der Sache stellte, um dramatische Momente spannend aufblühen zu lassen, im lyrischen Part feinsinnig zu begleiten und insgesamt einen prächtig schillernden Teppich zu legen, auf dem zu singen Passion und Freude sein muss.
Weitere Termine: 25. und 29. Mai 2016 (ausverkauft)