Eben erst der Katholikentag in Leipzig, jetzt das Posaunentreffen in Dresden, wo die himmlischen Heerscharen des Kirchentags von 2011 noch nicht vergessen sind – man könnte den Eindruck gewinnen, Sachsen solle mit aller Macht wieder ins fromme Mittelalter zurückgeblasen oder -gekehrt werden. Wenn das Getümmel dann auch noch kräftig mit öffentlichen Geldern finanziert ist, kann man schon mal ins Grübeln kommen. Die christlich-schwarze Regierung kann zwar Musikschulen, Orchester und Theater zwangsfusionieren oder gleich ganz schließen, aber für subventionierte Kreuzzüge reichen die pekuniären Mittel dann doch? Als hätte die aufgeklärte Mehrheit der Menschen keine Musik?
Lautstarke Missionierungsversuche in einer Welt, der die Ruhe schon lange abhanden gekommen ist. In einer Welt allerdings auch, die gelebten Respekt sehr nötig hat. Respekt der Gläubigen, denen die Frage erlaubt sein muss, ob sie ihren Glauben aus den Kirchen, Moscheen und Synagogen derart brachial in eine freie, in eine halbwegs aufgeklärte Welt hineintragen müssen. Wer an den evangelikalen Kirchentag zurückdenkt, hat vor allem den Lärm im Ohr, die Menschenmassen vor Augen – ein „Erfolg“ fürs leidige Stadtmarketing sind solche „Events“ freilich trotzdem, denn endlich waren einmal sämtliche Pfadfinder und Seelsorger aus den Tiefen von Rheingau und Schwabenland sowie von den Höhen der Alp und des gläubigen Gestern zum Rummel im Elbtal.
Respekt – wenn er denn schon angemahnt werden muss – äußerte sich neulich erst wieder in einem Leserbrief an die Lokalpresse, der allen Ernstes die Außenübertragung von Richard Wagners Oper »Lohengrin« auf den Theaterplatz als Störung (!) einer religiösen Veranstaltung in der „Hofkirche“ (sic!) kritisierte. Hm, ist denn der „Hof“ nicht auch in Dresden seit 1919 endgültig abgeschafft? „Gott sei Dank“, könnte man meinen (wenn nicht das steuerteure Gezeter der Wettiner um ihr „angestammtes“ Erbe auf dem Rücken der zumeist rotblütigen und inzestfreien Allgemeinheit ausgetragen würde). Herr, lass Hirn regnen – das ist dann doch wohl ein allzu frommer Wunsch, selbst für die posaunenlaute Christenheit. Der erste blechbläsrige Aufmarsch „Im Auftrag des Herrn“ (so ein inzwischen mehrfach auf T-Shirts gefundener Slogan, mit dem süddeutsche Bierbäuche bespannt sind) scheiterte vor wenigen Jahren in Leipzig, unter dem leicht debil klingenden Kürzel DEPT und mit dem womöglich selbstentlarvenden Motto „Luft nach oben“ soll nun in vermeintlich rückständigeren Landen ein zweiter Anlauf versucht werden. Wo Pilgerscharen in öffentlichen Einrichtungen übernachten, gilt Schulausfall offenbar als Zeichen von Glauben statt Bildung. Ausgerechnet in diesem Land, das auf dem Papier die Trennung von Staat und Kirche vertritt? Aber Papier ist ja geduldig, geduldiger als all die Kirchenfürsten, die sich in Rundfunkräten und Lehrbuchkommissionen permanent ins gesellschaftliche Leben einmischen.
Für viele Menschen sind Religionen das größte Übel der Welt. Sie predigen Toleranz, meinen aber Toleranz für die eigenen Lehren. Viel gewonnen für eine friedliche Zukunft wäre wohl schon, wenn innerhalb der einzelnen Kirchen mehr Toleranz gelebt würde. Wenn Buddhisten, Christen, Juden und Muslime in einen gemeinsamen Chor einstimmen würden, statt einander den „wahren“ Glauben streitig zu machen, könnte gewiss schon sehr viel mehr erreicht werden für eine friedlichere Welt. Wie es besser geht, zeigt womöglich die Semperoper mit einem gemeinsamen Singen zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni: da stehen neben vokalen Glaubensbekenntnissen à la „Vater Unser“ und Matthias Claudius’ „Der Mond ist aufgegangen“ auch John Lennons „Imagine“ auf dem Programm. Wie heißt es darin so schön? „Stell’ dir vor, es gibt kein Himmelreich (…) Keine Hölle unter uns (…) Nichts, wofür man tötet oder stirbt / Und auch keine Religion (…)“
In diesem Sinne – ein friedliches und dennoch musikalisches Wochenende!