„Parsifal“ ohne Dirigent, das geht natürlich gar nicht. Das Bühnenweihspiel verlangt nach ordnenden Händen, braucht einen klugen Kopf mit klaren Vorstellungen, wie die viereinhalb Stunden Musik gestaltet und umgesetzt werden sollen. Seit gestern aber, keine vier Wochen vor der geplanten Premiere, steht die einzige Neuproduktion der diesjährigen Bayreuther Festspiele ohne musikalische Leitung da. Bis eben noch soll um die Inszenierung von Regisseur Uwe Eric Laufenberg bestes Einvernehmen geherrscht haben. Dabei ist ja auch der erst relativ kurzfristig für den rechtzeitig verabschiedeten Nicht-Regisseur Jonathan Meese, der sich seinem „Parsifal Manifest“ zufolge als (einzig?) legitimen Wagner-Interpreten ansieht.
Warum aber nun „Parsifal“ ohne Dirigent? Der Grüne Hügel gleicht doch dieses Jahr fast einer Festung, so harsch haben sich die Sicherheitsmaßnahmen dem nachwachsenden Bedrohungspotential angepasst. Man kommt zu den Proben kaum rein, heißt es von den mitwirkenden Musikern, wie soll da der Dirigent rauskommen?
Das geht nur mit der ausdrücklichen Bitte um Vertragsaufhebung, und eben die hat Andris Nelsons aufgrund von atmosphärischen Störungen geäußert. In einer Pressemitteilung der Festspiele liest sich das so:
Mit ‚dem allerhöchsten Respekt’ vor dem Management und Team der Bayreuther Festspiele, dem Regisseur und seinem den Assistenzdirigenten, der gesamten Besetzung, dem Orchester und Chor hat Andris Nelsons die Festspielleitung und Geschäftsführung der Bayreuther Festspiele um die Auflösung seines Vertrags für die Neuinszenierung Parsifal im Jahr 2016 gebeten. Leider haben die Umstände bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen Andris Nelsons nicht die Atmosphäre ermöglicht, die er für seine künstlerische Arbeit benötigt. Mit Bedauern stimmen die Bayreuther Festspiele seiner Bitte um Vertragsauflösung zu.
Es dauerte nur wenige Stunden, bis der angeblich Schuldige an diesem Debakel feststand: Christian Thielemann, der ja neben seiner Chefdirigentenstelle an der Sächsischen Staatskapelle auch noch Musikdirektor in Bayreuth ist, er habe sich in die Probenprozesse anderer Dirigenten zu sehr eingemischt, heißt es. Neben Andris Nelsons soll das auch Marek Janowski betroffen haben, doch während der eine die Einmischungsversuche offenbar ignoriert, greift der andere zum Koffer und verschwindet.
Deswegen „Parsifal“ ohne Dirigent? Nelsons ist in Bayreuth kein Unbekannter, hat erfolgreich den „Lohengrin“ dirigiert und soll 2020 den ganzen „Ring“ leiten. Einen solchen Dirigenten stößt man doch nicht vor den Kopf? Böse Geister munkeln nun schon, dass der Kleinkrieg zwischen Dresden und Leipzig nun im Fränkischen Zaubergarten ausgetragen werden soll. Schließlich ist Andris Nelsons designierter Gewandhauskapellmeister und rückt der Elbe damit ein ganzes Stück näher (auch wenn er zudem noch in Boston einen Spitzenklangkörper hat). Andererseits sitzen seit ewig Musikerinnen und Musiker aus Gewandhaus und Staatskapelle Jahr für Jahr einvernehmlich im Bayreuther Festspielorchester. Kein Klingsor in Sicht? Und kein Dirigent für den „Parsifal“?