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Ein Festival voller Wagnisse

Foto: PR
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Jedes Jahr aufs Neue sind die Internationalen Schostakowitsch Tage eine waghalsige Unternehmung. Jahr für Jahr leben sie durch ihre Nonkonformität.  Hier, in Gohrisch, verbrachte Schostakowitsch einst im „Gästehaus des DDR-Ministerrates“ ein paar Tage, hier schrieb er sein 8. Streichquartett. Zwar kann die Infrastruktur des Ortes es mit dem grünen Hügel nicht aufnehmen. Doch die Konzerttage sind eine Institution. Und die Besucher zumindest für die drei Tage regelrechte Schostakowitsch-Fans.

Als vor sieben Jahren der Cellist Isang Enders zum ersten Mal in einer Scheune am Rande des Luftkurortes spielte, war die Unternehmung belächelt, in den darauf folgenden Jahren oftmals mit Stirnrunzeln betrachtet worden. Ein Klassikfestival in der Sächsischen Provinz? Ein Querdenker wie Schostakowitsch, mitten in einer NPD-Hochburg? Die Organisatoren können mittlerweile diesen Bedenken Zahlen entgegen halten: Das Festival hat inzwischen eine Auslastung von über 90% und begrüßte über das Wochenende über 3000 Besucher. Die Mischung aus musikalischer Spitzenqualität und kammermusikalischer, fast schon familiärer Atmosphäre in der sogenannten ‚Konzertscheune‘ hat sich herumgesprochen: in auffälliger Häufigkeit reihten sich Frankfurter und Münchener, Österreicher und Schweizer Nummernschilder neben den Dresdner Stammgästen auf dem Parkplatz.

Das diesjährige Programm hatte nebst Schostakowitsch noch einen anderen Komponisten im Programm: Hanns Eisler. Beide Musiker verband ein ähnliches Schicksal – das ambivalente Verhältnis zu kommunistischen Diktaturen, die sie förderten und unterdrückten. Beide hatten zudem einen gemeinsamen, vorbildhaften Fixpunkt: den kammermusikalischen Vater Beethoven, welcher als dritter Bezugspunkt im diesjährigen Programm stand.

Drei zu ihrer Zeit streitbare, geniale Komponisten also. Auch hier ging das Wagnis auf. Ist Hanns Eisler dem durchschnittlichen Dresdner vor allem durch sein „Solidaritätslied“ oder die DDR-Hymne bekannt, kamen vor allem durch seine Frühwerke, wie das Duo für Violine und Violoncello überraschende Bezüge zur Wiener Schule zum Vorschein. Isang Enders spielte gemeinsam mit Matthias Wollong dem begeisterten Publikum den Atem weg. Mit Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 2 arbeiteten sich die Musiker dann zu einem dieser unvergesslichen Momente hoch, von denen man gerne noch seinen Enkeln erzählen will. Kein Husten, kein Rascheln störte das bewegende Cellosolo, welches mit leisesten Pianissimotönen schmerzerfüllt in das Stück führt. Vielschichtiger hatte man Schostakowitsch selten gehört, tobenderen Applaus selten je ein Kammermusiker erhalten.

Ein Wagnis aber auch, Schostakowitschs Sonate für Viola und Klavier kurz vor Mitternacht zu beginnen, nachdem sich ein strömender Regen bereits durch Donnerschläge im ersten Konzertteil angekündigt hatte. Hier gewann die Natur: die Solisten Thomas Selditz und Peter Rösel brachen das Stück noch im ersten Satz ab. Zu laut hämmerte der Regen auf das Wellblech für das komplexe Stück. Man entschied sich, den Fußball-Zeitgeist treffend, für die Verlängerung am nächsten Konzerttag.

Das vielschichtige Programm des Abschlusskonzerts schreckte die Besucher nicht ab. Norbert Anger steuerte zielsicher und gefühlvoll durch Beethovens Opus 102, während Schostakowitschs sowjettreue Walzerkompositionen dem schwülen Nachmittag die notwendige sonntägliche Leichtigkeit gaben.

Sicherlich werden die meisten Besucher auch im nächsten Jahr den verschlafenen Kurort in der Sächsischen Schweiz wieder mit Leben füllen. Zum ersten Mal wirft das Programm seine Wurzeln in Dresdens Semperoper. Wo in den letzten Jahren nur die Shuttlebusse starteten, wird am 22. Juni 2017 das 8. Festival eröffnet: Mit großem Orchester auf großer Semperopernbühne. Mit der ersten und der letzten Symphonie des Komponisten, unter der Leitung von Gennady Rzhdestvensky, dem diesjährigen Preisträger des Schostakowitsch-Preises.

Vielleicht traut sich dann auch der eine oder andere Sonntagsmatinee-Besucher zur Odyssee nach Gohrisch. Denn hier, in der Konzertscheune, klingt selbst Beethovens Gassenhauer Nummer eins, die Mondscheinsonate, in Begleitung von Donner und Fledermäusen irgendwie besonders.

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