Kann man Wagner malen? Natürlich, mit Pinsel und Farbe. Aus Zeitgründen ließ sich der Meister aber lieber photographieren, wie diese Kunst seinerzeit buchstabiert wurde. Arno Breker übrigens hat ihn nachträglich geformt. Bronzen mit Patina, so steht die herrische Büste heute auf dem Bayreuther Hügel. Aber kann man Wagners Musik malen? Auch, aus Zeitgründen, ja. Auch aus Abgründen.
Ob Christian Thielemann nun wirklich der Verursacher des späten Bayreuth-Debüts von Hartmut Haenchen ist oder nicht? Völlig egal. Wenn der Chef der Sächsischen Staatskapelle in den Graben des Bayreuther Festspielhauses abtaucht, um von dort aus »Tristan und Isolde« als Klanggemälde ertönen zu lassen, wirken alle kleinlichen Streitigkeiten wie aus anderen Welten und sollten vergessen sein. Thielemann zaubert, Thielemann malt, Thielemann überwältigt. Mitsamt wiederum zahlreichen Musikern auch aus sächsischen Klangkörpern im Festspielorchester zelebriert der Musikdirektor der Bayreuther Festspiele keine Abfolge von Tönen, sondern einen berührenden Klang ganz aus dem Klang heraus. Wie derzeit wohl kein anderer Dirigent beherrscht er seinen Wagner, insbesondere den in Partitur und Libretto mitunter abgründigen »Tristan«, ebenso wie die diffizile Akustik auf dem Grünen Hügel.
Der Maestro als Maler
Da wird dem durchweg exzellenten Sängerensemble nicht nur der in der Musikkritik so vielstrapazierte Teppich gelegt – ein Klangteppich also, auf dem die Solisten sich wohlfühlen können –, da wird dem Orchester kein Limit gesetzt; hier scheint alles auf ein optimales Miteinander hin konzipiert zu sein. Ganz aus dem Bauch und ganz aus der Partitur. Aus dem Graben tönt es mal kraftvoll sinfonisch, ohne damit jedoch den Sängerinnen und Sängern irgendwelche Schwierigkeiten zu bereiten. Oft aber ist es die reinste Kammermusik, die perfekt abgemischt ist, die unter die Haut geht, ins Herz trifft und die Tristan-Geschichte ins Hirn zeichnet. Berührend, ergreifend, mitreißend.
Also eine ideale Begleitung für die Opernregie? Mitnichten. Festspiel-Chefin Katharina Wagner höchstselbst hat sich an die Inszenierung dieses Liebesleid-Opus‘ von Urgroßvater Richard gewagt – und dafür jede Menge Buh-Rufe einkassiert. Selbst in Folgeaufführungen echauffieren sich große Teile des Publikums über die sinnentleerte Szenenabfolge, über aktionistische Ablenkungsmanöver vom nicht vorhandenen Zugriff auf diese Oper der nicht verwirklichten Liebe. »Tristan und Isolde« ist, ähnlich dem Tango, fortwährende, drängende Lust ohne Erfüllung.
Licht im Labyrinth
Im ersten Aufzug zeigt das zumindest Frank Philipp Schlößmanns Bühnenbild deutlich. Treppen hinauf und hinab, Sackgassen und Hängebrücken sowie allerorts reichlich Dunkelheit (Licht: Reinhard Traub) suggerieren immerhin ein Labyrinth der Gefühle, aus dem es kein Entkommen geben wird. Von Sentimentalität allerdings keine Spur. Der erste Kuss zwischen Tristan und Isolde offenbart besorgniserregende Abgründe der Regie, denn die irische Königstochter greift derart beherzt zu, als wäre sie das Oberhaupt der Wikinger und wollte sich mit einem Wal messen.
Doch selbst in solchen optisch eher peinlichen Momenten weiß die Musik zu überzeugen, die Zeit schier zum Stillstand zu bringen und für ergreifende Tiefenwirkung zu sorgen.
Im zweiten Aufzug wird es ihr vermeintlich schwerer gemacht, da der Bühnenraum zunächst ganz im Dunkeln bleibt, am Boden mit einigem Edelmetall versehen ist, das erst mal an Fahrradständer suggeriert. Auch an den Wänden lauter Metallbügel. Von oben leuchten Scheinwerfer wie in einen Gefängnishof. Hier gibt es kein Entkommen, das wird visuell wiederum mehr behauptet, musikalisch aber stringent bewiesen. Katharina Wagner hat es der Musik also doch ziemlich leicht gemacht, denn wo keine inszenatorische Idee besticht, wo die Sänger-Darsteller fast unsichtbar bleiben, da entfaltet sich die pure Macht der Musik. Zumal Tristan und Isolde in ihrem behaupteten Ringen umeinander kaum etwas miteinander zu schaffen haben, sie spielen am eigenen Käfig herum, an den Metallgestängen … – die Partitur schreit indes nach purer Lust, nach gieriger Hingabe.
Düstere Dreiecksgeschichte
Das dritte Bild schließlich bleibt lange im Nebel getaucht. Eine verschworene Männerbande wacht über den halbtoten Tristan, der beim Erwachen jede Menge Isoldes wähnt. Illusionen sie alle, sämtlich in Dreiecken illuminiert, bis auch Lieschen Wagner begreift, hier geht es um eine Dreiecksgeschichte. Denn Isolde soll bekanntlich König Marke angetraut werden, eine Vorgeschichte sowie der berühmte Liebestrank lenken das Paar aber auf einen anderen Weg. Der wird von Blut und Tod gesäumt sein. Von alledem hören wir in der Musik – doch was auf der Bühne zu sehen ist, der sogenannte Liebestod etwa, Isoldes Verklärung, auf dem Totenbett mit der wie ein Blaukäfer wirkenden Leiche Tristans, das ist eher entsetzlich denn ergreifend.
Dabei ist die Sängerbesetzung ähnlich vorzüglich wie das Festspielorchester. Stephen Gould als Tristan beherrscht das kräftig Voluminöse, bleibt alle drei Aufzüge hindurch glanzvoll präsent. Petra Lang gibt ihr Rollendebüt als Isolde in Bayreuth, singt sich frisch und sehr lebendig durch diesen wahnwitzigen Part, besticht bis zum Finale mit vokaler Kraft, Schönheit und Schmelz.
Begeistert haben auch Claudia Mahnke, die (für die leider erkrankte Christa Mayer) die Brangäne überaus herzhaft gestaltet hat, und Iain Peterson als starker, geschundener Kurwenal.
Wenn einer aus solch einem Klasse-Ensemble noch herausstechen kann, dann ist das Georg Zeppenfeld, der seinem König Marke etwas Großartiges mitgibt. Stattliche Erscheinung, in jeder Lage selbstsicher timbriert, vor allem vorbildlich wortverständlich. An ihm ist es auch, einen dann doch bestechenden Regieeinfall umzusetzen, denn nach Isoldes betörendem Trauergesang greift er sich das Weib für eine gemeinsame Zukunft. Wie die aussehen wird, kann man sich ausmalen …