„Der Plan, dieses Buch zu schreiben, ist nunmehr fast zwanzig Jahre alt“, bekannte Erna Hedwig Hofmann (1913-2001) im Nachwort. „Es hat seinen Ursprung in den Erzählungen des Kreuzkantors Rudolf Mauersberger, in Erinnerungen an seine Dorfkindheit und an den liturgisch-musikalischen Jahresablauf, wie er ihn als Chorjunge in der Dorfkurrende seines Vaters erlebte. Es lag nahe, diese Kindheitseindrücke zu seiner späteren Geistes- und Lebensentwicklung in Beziehung zu setzen und sie mit seinem Wirken als Kreuzkantor zu verknüpfen…“
Fünfzig Jahre nach Erscheinen ist Hofmanns großer Kruzianer-Roman »Kreuzchor anno 45« (Union Verlag Berlin, 405 S.; illustriert ist das Werk mit zahlreichen Abbildungen von Kurt Eichler, 1905-1990, einem Otto-Dix-Schüler) gerade noch in zwei Dutzend Exemplaren antiquarisch erhältlich. Weitgehend vergessen sind die Aufzeichnungen der ehemaligen Privatsekretärin Rudolf Mauersbergers; sie selbst ist den jüngeren Kruzianern kaum noch bekannt. Es ist Zeit, ihn wiederzuentdecken – schildert er doch den wahren Gründungsmythos des Chores. Dafür müssen wir nämlich nicht achthundert Jahre zurückschauen; nurmehr 71 Jahre. Das Buch wagt viele Sprünge zwischen Weitwinkel- und Porträtobjektiv, erzählt vom Marschbefehl an Theo Adam wie von diesem kleinen Knabensolisten Peter Schreier, genannt Pud, der 1945 noch im Gauernitzer Schulgarten Sandkuchen bäckt, aber bald zum Lieblingssänger des Kantors avancieren wird. Versprochen: Gänsehaut, ja heimliche Tränchen, sind beim Lesen garantiert.
Mitfühlend, spannend und, ja, zugegeben, mitunter ein ganz kleines bisschen kitschverhaucht verquickt und verschränkt Erna Hedwig Hofmann Mauersbergers Kindheitserinnerungen mit dem „Roadmovie“ zweier Kruzianer nach Kriegsende. Die beiden Freunde Charly und Jürgen (in Wirklichkeit: Joachim Schröter und Manfred Kühnel) machen sich aus den Ruinen der Stadt, die einst voll Volks war und nun so wüst liegt, auf ins Pfarrhaus Mauersberg, wohin sich Rudolf Mauersberger zurückgezogen hat. Sie wollen ihm die Lizenz zur Neugründung des Kreuzchors überbringen, die den neuen Dresdner Behörden im zähen Kampf abgerungen wurde.
Der Kantor stockte im Lesen: Du reihst dich als letzter … Wiederholte: „… als letzter an Männer, die vor dir gewirkt haben…“ Niemand hatte damals, vor fünfzehn Jahren, geahnt, welch grausige Verwirklichung diese Worte finden sollten. Als letzter! Fünfundzwanzig evangelische Kreuzkantoren seit Einführung der Reformation in Sachsen. Er war der Fünfundzwanzigste, er war tatsächlich der letzte in der Reihe. Der letzte, der im alten Dresden, an der alten Kreuzkirche gewirkt hatte. Der fünfundzwanzigste – der letzte! Er durfte es nicht dabei bewenden lassen. Ihm lag es nun ob, eine neue Reihe zu eröffnen, in dieser neuen Reihe der erste zu werden. Er würde das kostbare Erbe, von dem der Redner gesprochen hatte, hinüberretten, würde das Gelübde des Vaters besiegeln. Seine Amtszeit als Kreuzkantor würde nicht das Ende einer Reihe bedeuten; seine Amtszeit würde ein Anfang sein. (S. 389 f.)
„Wie liegt die Stadt so wüst…“ Dresdner Kreuzchor 1945. Untergang und Neuanfang.
Das Jahr 1945 steht im Mittelpunkt einer Lesung am Donnerstag, dem 25. August 2016, 19 Uhr im Mauersberger-Saal im Haus an der Kreuzkirche 6, unter dem Titel »Wie liegt die Stadt so wüst… Kreuzchor 1945 – Untergang und Neuanfang.« Es werden literarische Zeugnisse und persönliche Erinnerungen von Zeitzeugen vorgestellt, es erklingen Musikbeispiele aus jenen Jahren. Die Lesungen gestalten der Schauspieler Andreas Herrmann (Leipzig), selbst ehemaliger Kruzianer, und Ursula Kurze aus Dresden. Die Text- und Musikauswahl sowie die Moderation erfolgt durch Christoff Andrich, Vorsitzender des Fördervereins Dresdner Kreuzchor e.V. Der Abend ist die 9. Veranstaltung in der »Kreuzsplitter«-Reihe, die zum Jubiläum 800 von den Fördervereinen für Kreuzchor, Kreuzkirche und Kreuzgymnasium gemeinsam durchgeführt wird. Eintritt frei. Spenden willkommen.