Bevor die Musiker zu Wort kommen, lassen wir die Musik sprechen. Oder besser: die Vögel singen! Die neue CD der Dresdner Kapellsolisten beginnt mit Vivaldis »Frühling«. Paradiesisch unbekümmert zwitschern die Geigen sich durch den ersten Satz. Im Mittelsatz indes zucken historisch informierte Barockdrosseln nervös mit dem Schwanz. Dieses innige, beseelte Vibrato der Konzertmeisterin Susanne Branny – darf man Vivaldi denn überhaupt noch so spielen?
Man darf, würde der Kontrabassist und Dirigent der Dresdner Kapellsolisten, Helmut Branny, argumentieren. Wenn man sich denn bewusst für ein bestimmtes Klangbild entschieden hat: dann darf es ruhig mal rauh klingen, aber – und das ist vielleicht eins der Markenzeichen seines Ensembles – die Klangschönheit darf ebenfalls in den Mittelpunkt rücken. „Am wichtigsten ist, dass man nie aufhört, nach authentischen Interpretationen der Werke zu suchen“, sagt Branny, ein Forscher und Entdecker auf dem Gebiet der Aufführungspraxis der Alten Musik. Mit dem Freiburger Barockorchester hat er ebenso musiziert wie mit der Akademie für Alte Musik Berlin; aber auch mit Zeitgenossen wie Rihm oder Takashi Jashimatsu hat er sich auseinandergesetzt.
Ans Dirigentenpult der Dresdner Kapellsolisten zu treten – dazu musste Branny hingegen am Anfang fast überredet werden. Zu Gründungszeiten hatte er vorgehabt, die Musiker vom Kontrabass aus als Erster unter Gleichen zu führen. Die Stimme hatte er sich penibel eingerichtet, die Einsätze notiert, die Striche und Dynamiken der Kollegen vermerkt… Bis die Blicke hektisch zwischen der Konzertmeisterin und dem Kontrabass hin- und herflogen, bis sie alle merkten: das wird kompliziert. Jan Vogler war es schließlich, der die erlösenden Worte aussprach: Helmut, dirigiere doch einfach, das ist für uns viel leichter! An der Idee der musikalischen Gleichberechtigung aller Mitglieder des Orchesters hat das jedoch nichts geändert: jeder einzelne Instrumentalist ist als Ensemblemusiker, aber immer auch in seiner Eigenschaft als Solist gefordert.
Dabei spielt die Auseinandersetzung mit der jeweils zeitgenössischen Musizierpraxis für alle eine große Rolle. Allein die Besetzung bei den »Vier Jahreszeiten«: die zwei Dutzend Musiker spiegeln die damaligen Ensembledimensionen eines musikalisch anspruchsvollen Hoforchesters wie dem kurfürstlich sächsischen genau wider. Die Entscheidung für oder gegen ein historisches Instrumentarium wird von den Kapellsolisten dabei wohlüberlegt und immer anhand der klanglichen Notwendigkeiten getroffen. Historische Pauken und Trompeten kommen immer einmal zum Einsatz, wenn es etwa um authentische Klänge einer Haydn-Sinfonie geht. Die Streicher hingegen vertrauen von Gründung an und mit wenigen Ausnahmen auf die Instrumente, die die Musiker der Sächsischen Staatskapelle alltäglich „im Dienst“ spielen. Wohl setzen sich die Musiker mit den neuesten Erkenntnissen zu Stil- und Aufführungspraxis, dem „geistigen Klima der Entstehungszeit der Werke“ (Branny) sehr aufmerksam auseinander. Und im Abwägen, im Suchen und Finden von Farbnuancen entsteht am Ende der charakteristische, wiedererkennbare Klang der Dresdner Kapellsolisten: beherzt, jedoch immer kultiviert. Und vor allem eben dieser „warme, weiche Streicherklang“, wie ein Kritiker einmal schwärmte! Er ist eins der Markenzeichen des Ensembles. Und ist genau so wichtig wie dieses sangliche, organische Spiel, das vielleicht nur dort entstehen kann, wo Orchesterkollegen lange Jahre durch viele Stilepochen hindurch gemeinsam musizieren, auch viel Oper in den Fingern haben. Das wichtigste aber, sagt Helmut Branny, sei, dass die Kollegen allesamt mit dem Herzen dabei sind. Auftritte mit den Dresdner Kapellsolisten sind ja nicht die Pflicht, sondern die Kür eines Staatskapellmusikers. Hier kann er in ein Repertoire eintauchen, das er im großen Opernorchester eben nicht täglich auf dem Notenständer findet, kann sich in die Werke von Komponisten vertiefen, die ihrerseits für die Geschichte der ehemaligen Hof- und heutigen Staatskapelle so eminent wichtig waren: Johann Gottlieb Naumann, Johann Baptist Neruda, Jan Dismas Zelenka, Antonio Lotti, gar die Prinzessin Amalia von Sachsen höchstselbst… die Liste könnte fortgesetzt werden. Namhafte Solisten wie Nils Mönkemeyer, Martin Stadtfeld, Jan Vogler, Albrecht Mayer, Viktoria Mullova oder Matthias Goerne vertrauen bei ihren Einspielungen gern auf die Kapellsolisten. Mit dem Tenor Peter Schreier verbindet die Musiker eine langjährige Zusammenarbeit. Aber auch Solisten am Anfang ihrer Karriere versichern sich gern der Schützenhilfe der Dresdner, wenn eine aufsehenerregende Debüt-CD entstehen soll.
In ihrer Heimatstadt Dresden haben die Kapellsolisten seit ihrer Gründung mitgeholfen, einen neuen Aufführungsort zu etablieren: das Sommerpalais, ein barockes Lustschloss inmitten des Großen Gartens, wurde in den letzten Jahren behutsam rekonstruiert und für Konzerte und Ausstellungen zugänglich gemacht. Viel öfter waren die Musiker jedoch in den letzten Jahren außerhalb der Stadtgrenzen zu erleben: auf Tourneen nach Japan und in die Schweiz, nach Korea und Kroatien, Italien und Österreich; gemeinsam mit Solisten wie Peter Rösel, hin und wieder auch mit dem Dresdner Kreuzchor. Und auch wenn die aktuelle Saison wieder mit Gastspielen lockt, wollen die Kapellsolisten wieder verstärkt in und um Dresden präsent sein. Das Repertoire der zweiten neuen SACD erinnert da auch wieder an hiesige musikalische Wurzeln: sie ist Dresdner Fagottkonzerten aus dem legendären „Schranck No:II“ gewidmet, der unter anderem die private Sammlung des einstigen Kapell-Konzertmeisters Johann Georg Pisendel enthielt.
Eine Textfassung des Artikels ist in der Zeitschrift CLASS:aktuell erschienen.
Sonntag, 4. September 2016, 16 Uhr
Weinbergkirche Pillnitz, Bergweg 3, 01326 Dresden-Pillnitz
Karten zu 20 | 15 € und über Reservix | an allen bekannten Konzertkassen
Einlass ab 45 min vor Konzertbeginn, Konzert mit Pause & Wein vom Winzer
Unter Leitung von Helmut Branny präsentieren die Dresdner Kapellsolisten ihr Programm »Bach und Vivaldi«. Vivaldis Solokonzerte wie etwa das Konzert für 4 Violinen RV580 in h-Moll waren stilbildend für den Hochbarock und beeinflussten darüber hinaus entscheidend die Entwicklung des Konzerts bis zur Klassik. So konnte sich auch Bach dem „Vivaldi-Fieber“ nicht entziehen und bearbeitete nicht weniger als sechs Konzerte. Auch im erklingenden 6. Brandenburgischen Konzert sowie dem Violinkonzert a-Moll ist Vivaldis Einfluss unverkennbar.