Falls Sie Klassikkonzerte nicht mit geschlossenen Augen genießen: Wohin blicken Sie, während die Musik erklingt? Ins Publikum, ins Orchester, auf den Dirigenten? Wieso bitte auf den Dirigenten? Das klingt ja, als gäbe es keine Dirigentinnen, auf die das Hinschauen lohnte? In der Tat haben erhebliche Veränderungen an den Pulten stattgefunden. Novitäten gar, die für Schlagzeilen sorgten. Denn mehr noch als hier und da mal eine Fagottistin, eine Frau am Kontrabass oder gar eine Schlagzeugerin verwundert es immer noch viele Leute im Konzertpublikum, wenn sie mal eine Direktrice am Pult wahrnehmen. Dabei ist just das Taktieren doch stets eine Männerbastion gewesen, in musikalischer Hinsicht zumindest. Aber – und das ist gut so – sie bröckelt, diese Bastion. In Dresden gibt es mit Isabel Mundry, Rebecca Saunders und Lera Auerbach sowie nun (zum zweiten Mal) Sofia Gubaidulina ein paritätisches Verhältnis von Capell-Compositeur und Capell-Compositrice. Hier hat von 2008 bis 2014 mit Monica Buckland eine Frau das Orchester der Technischen Universität geleitet und ist mit Christiane Büttig eine findige Dirigentin an gleich mehreren Pulten tätig. Und die australische Dirigentin Simone Young ist unter all ihren männlichen Kollegen die einzige, die in kürzester Zeit sowohl der Dresdner Philharmonie als auch der Sächsischen Staatskapelle an wegweisenden Abenden vorstand.
Insgesamt aber? Überall gelebte Normalität? Gleichberechtigung gar? Gleiche Berechtigungen? Mitnichten. Die Namen anerkannter Dirigentinnen können immer noch an zwei Händen abgezählt werden. Doch auch das soll sich ändern. Ein zaghafter Weg, von Rückschritten und Umwegen gepflastert. Beim diesjährigen Lucerne Festival ging es um »Die Rolle der Frau«: man (!) widmete den Dirigentinnen sogar eigens einen »Erlebnissonntag«. Da schau her! Im Hauptprogramm war leider kein Platz für sie. Die Berichterstattung über »PrimaDonna« wirkte freilich durchweg maskulin und war von einer Traditionalität geprägt, der nur mit Alt-Herren-Witzen zu begegnen ist. Als Composer-in-residence (sic!) war Olga Neuwirth zu Gast (sogar in Dresden ist man da schon einen Schritt weiter und bezeichnet Sofia Gubaidulina als „Capell-Compositrice“. Das Italienische ist und klingt eben doch angenehm femininer.) Zudem sind elf Dirigentinnen in Lucern gewesen. Die Rezensenten konzentrierten sich auf das geschlechtlich Exotische, als kämen sämtliche Frauen von fremdfernen Sternen. Da wurden Äußerlichkeiten beschrieben, wie sie bei männlichen Pultstars nie eine Rolle gespielt hätten. Der Anteil von Frauen auf Chefdirigentenposten sei geringer als der von Alkoholikern am Dirigentenpult. Klingt lustig, ist aber kein Witz. Allerdings trage die Maestra Schwarz, „wie der Maestro“. Das wird betont! „Hellstenfalls Dunkelanthrazit“, und sogar ihrem Schuhwerk wird Beachtung gezollt. Während bei männlichen Sachwaltern der Partituren wirklich niemand auf die Idee käme, dem angegrauten oder ausgefallenen Haarschopf auch nur eine Halbzeile zu widmen, werden bei Dirigentinnen Äußerlichkeiten betont, denn „der lange blonde Pferdeschwanz tanzt lustig mit.“ So gelesen über Anu Tali, die auch schon bei den Dresdner Musikfestspielen gastiert hat. Oder es wird „etwas verkrampft aus den Schultern heraus“ dirigiert, anderenfalls auch „sanft ausschwingend“. Eine „zart gebaute, aber gestählt wirkende Frau macht gestisch nicht mehr als nötig“, eine ihrer Kolleginnen tritt „im langen hellblauen Seidengehrock zur schwarzen Hose“ auf… Mannomann, wie peinlich! Da mochte man auch beim Lesen der Zeitung nur noch die Augen verschließen.