Starten wir mit Jan Voglers neuer CD. Ein tolles neues Orchester ist dieses Dresdner Festspielorchester – nun, so neu ist es ja gar nicht mehr. Aber es klingt neu! Spritzig, historisch ziemlich gut informiert. Und der Solist? Ja, sein Schumann ist etwas romantischer angelegt als der des Orchesters. Aber er hat etwas zu sagen. Kaufempfehlung, uneingeschränkte.
Die kann auch für die nächste CD ausgesprochen werden. Norbert Anger geht steil! Frisch klingt sein Haydn, schlank, und doch zupackend. Dem Cello, das ehemals Jan Vogler gehörte, hat er neue Saiten verpasst (um genau zu sein: eine völlig neue Saitenart wurde speziell für dieses Instrument erfunden und ist nun auch am Markt erhältlich). Immer wieder überrascht, was die Kapellsolisten auf jeder ihrer ja nun nicht gerade seltenen CDs für ein Feuerwerksmusizieren abbrennen – und auf welchem Niveau! Augen auf und los – und alles passt.
Wir wandern weiter und kommen zu einem der Dresdner, die dieser Tage eher außerhalb der Stadtgrenzen zur Geltung kommen: René Pape. Arrigo Boitos »Mefistofele« sang er in München unter der Leitung von Omer Meir Wellber. Ja, dieser Mephisto kommt an! Papes Bühnenpräsenz ist atemberaubend, und die spannende Inszenierunge bringt Boito als Bindeglied zwischen Verdi und Puccini zur Geltung. Wir freuen uns schon auf die Wiedersehen mit Pape und Wellber nächstes Jahr, solange hält die DVD (bzw. Bluray) unsere Zuneigung am Brodeln.
Jemand, der nicht nur gut singen, sondern auch zeichnen kann, ist der Leipziger Tenor Martin Petzold. Ein Ex-Thomaner, der zu vergnüglichen Texten von Hans-Gunther Hoche witzige Opernvignetten geskizzelt hat. Mein lieber Schwan!
Wir schließen an mit MDR-Entdeckungen in der Edition Günter Hänssler. Die Reihe setzt auf live-Aufnahmen aus der Semperoper, ungeschönt, gerade dadurch leben die Platten von purer Vitalität. In kürzester Zeit sind erschienen: das Flutkonzert unter Haitink mit Beethovens Violinkonzert und Frank-Peter Zimmermann (2002) und Brahms‘ Erster Sinfonie. Mit besonderem Stolz eingespielt ist Bruckners Dritte in der Urfassung von 1873, unter Nézet-Séguin. Und als besonderes Highlight liegt nun auch eine Doppel-CD zu Ehren von Giuseppe Sinopoli vor, auf der neben Weber, Wagner, Strauss und Liszt auch drei Werke eben von Sinopoli zu hören sind, dirigiert vom Meister selbst, von Sylvain Cambreling und Peter Ruzicka.
Müde winkt aus unserem CD-Haufen noch ein cpo-Methusalem, der auch dieses Jahr unausgepackt bleibt. »Prinz Methusalem« ist eine unbekannt gebliebene, dreiaktige Komische Operette von Johann Strauss. Wie jedes Jahr fragen wir uns, wer solche CDs außer den Mitwirkenden und ein, zwei operettenliebenden Musikwissenschaftlern eigentlich anhört? Schütteln leise den Kopf. Und verschenken sie dieses Jahr hoffentlich endlich weiter.*
Und wir bleiben im Metier. Wie Offenbachs »Orphée aux Enfers« eigentlich klingen sollte, kann man mit viel Freude unter dem Dirigat Marc Minkowskis erleben. Für Dresdner mag besonders interessant sein, dass es sich um eine Aufnahme mit Chor und Orchester der Oper Lyon und dem Orchestre de Chambre de Grenoble in einer Aufnahme aus dem Jahr 1998 handelt.
Dresdens Ballettdirektor Aaron S. Watkin ist zwar der Meinung, dass die Originalchoreographie von Marius Petipa (1818-1910) nicht mehr zeitgemäß sei für eine Aufführung des »Don Quixote« mit der Musik von Ludwig Minkus; wer aber nachprüfen will, wie diese Choreographien in einer Inszenierung beim Royal Ballet in London losgehen, dem sei die Aufnahme des Stücks mit Carlos Acosta als Basil und Marianela Nunez in einem Mitschnitt aus dem Royal Opera House vom 30.9.2013 empfohlen.
Und wer noch mehr staunen will, was mit diesen Originalchoreographien alles möglich ist, dem sei eine Aufnahme mit dem American Ballet Theatre aus New York von 1983 empfohlen. In der Hauptpartie des Basil und als verantwortlicher Choreograph kein geringerer als Mikhail Barychnikov. Der Dirigent Paul Conolly dürfte auch den Dresdnern nicht ganz unbekannt sein.
Kommen wir zur Chormusik. Nachdem wir unterm Weihnachtsbaume versehentlich, aber mit voller Absicht die Johannespassion von Heinrich Schütz eingelegt haben, um den Jahrespreis der Dt. Schallplattenkritik für den Dresdner Kammerchor (stellvertretend verliehen für die ganze Schütz-Edition) gebührend zu feiern, schwenken wir nun auf einige echte Weihnachtsplatten um:
Die neue Scheibe des vocalis ensemble dresden namens »Feliz navidad« wäre als erstes zu nennen. Dummerweise hat Helge Schneider gerade das Lied von Jose Feliciano in einer unschlagbaren Version auf seiner Facebookseite veröffentlicht. Trotzdem ist es ein Genuss, diese CD zu hören, die uns weithin unbekannte Weihnachtssperenzchen, Spekulatii etc. feilbietet. Wer es lieber heimelig mag, möge nach der zweiten Rotweinflasche zur Weihnachts-CD »Es naht ein Licht« des Thüringer Ensemble Octavians greifen, auf der acht Herren in betont unaufgeregter Weise klassische Weihnachtslieder im Herrenarrangement exerzieren.
Ein edles musikalisches Postskriptum, nicht für die Ohren diesmal, sondern für die Augen, ist im Meißner Thieme Verlag erschienen: der langjährige Semperoper-Fotograf Matthias Creutziger hat in dem 2017er Kalender »jazzblut« Momente purer Musikalität eingefangen. Einige seiner bekanntesten Motive (das legendäre Michel-Petrucciani-Porträt, Mitsuko Ochida am Klavier wirbelnd) wechseln sich mit neueren stromdurchpulsten Künstlerporträts ab. Hey, das ist nicht nur ein Jahr lang jeden Monat klingende Inspiration, das ist quasi die Krönung eines ganzen Künstlerfotografenlebens! Der Spaziergang an der Seite der Musiker, in deren Adern Jazz fließt (egal, ob der klassischen oder neuen Hemisphären zugehörig), gipfelt in einer Pointe abseits der strengen Konvention. Der Dirigent Sir Colin Davis steckt dem Betrachter die Zunge raus. Sich selbst nicht so ernst zu nehmen, stattdessen die Kunst und das Leben zu feiern – das atmen diese Fotos herrlich. Wer sich beeilt, kann den Kalender seinen musikalischsten und liebsten Verwandten und Freunden unter den Baum legen – erhältlich ist er zum Beispiel im Sweetwater Record Store zum Preis von 59,50 EUR.
Frohe Weihnachten!
Alexander Keuk, Boris Gruhl, Michael Ernst, Peter Bäumler, Matthias Bäumel, Martin Morgenstern