„Ja, mach nur einen Plan…“, es kommt dann doch anders als geplant, der gute Brecht hat eben immer Recht. Ich hatte auch einen Plan, ganz schnell, gleich zu Beginn des neunen Jahres nach Stuttgart, und ausgerechnet mal nicht zum Stuttgarter Ballett, so war´s geplant. Es kam anders. Anlass für die plötzliche Reise war die große Ausstellung mit Gemälden und Zeichnungen von Francis Bacon in der Staatsgalerie. Also nichts wie hin. Hat sich auch gelohnt.
Und dann am Abend eben doch zum Ballett in Stuttgart. Kurz vor Ende des letzten Jahres wurde hier nämlich die Fassung des »Don Quijote«, Choreografie und Inszenierung von Maximiliano Guerra, wieder aufgenommen. Die Produktion kam im Dezember 2000 heraus, wurde in einer Bearbeitung dann 2012 wieder aufgenommen und steht jetzt erneut im Repertoire, und wie man sieht noch immer hoch in der Gunst des Publikums. Da war ich natürlich neugierig, steht doch »Don Quixote« seit kurzem in Dresden auch in einer Neuproduktion auf dem Spielplan beim Semperoper Ballett!
Das Stück hat seine Tücken. Es heißt zwar »Don Quixote«, aber der Ritter von der traurigen Gestalt spielt eigentlich nicht die Hauptrolle. Vielmehr geht es in dem Ballett zur schlichten, aber sehr tänzerischen Musik von Ludwig Minkus um eine Episode aus dem Roman von Cervantes. Libretto und Choreografie stammen von Marius Petipa; in seiner ersten Fassung wurde es im Dezember 1869 am Bolschoi-Theater in Moskau, in zweiter Fassung zwei Jahre später in St. Petersburg uraufgeführt. Es geht eigentlich um die Liebesgeschichte zwischen der schönen Wirtstochter Kitri und dem armen Barbier Basilio: Kitris Vater möchte seine Tochter an einen reichen Galan verhökern, und kein Geringerer als Don Quixote selbst verhilft den beiden Liebenden zu ihrem Glück.
Für Kitri und Basilio, für einen Toreador und eine Straßentänzerin hat Petipa hinreißende Soli und vor allem rasante Pas de deux´s kreiert. Natürlich sind die folkloristisch grundiert, aber eigentlich um auszureizen, was alles möglich ist im klassischen Tanz, mit seinen Sprung- und Pirouettenvarianten, mit seinen Hebungen und nicht zuletzt mit den stimmungsvollen Szenen für das Corps de ballet. Höhepunkt ist im Finale der Grand Pas de deux von Kitri und Basilio. Da braucht man schon ein exzellentes Tänzerpaar. Daran mangelt es ja in Stuttgart nach wie vor nicht. Die neue Produktion ist in den Hauptpartien jeweils dreifach besetzt; ich sah Ami Morita und David Moore in den Hauptrollen, Roman Novitzky als Toreador José Antonio und Myriam Simon als Straßentänzerin Mecedes. Alle grandios, ein Feuerwerk der Ballettkunst, dennoch dynamisch und vor allem sehr persönlich. Nicht zu vergessen das mitunter ausgelassene oder veränderte „weiße Bild“ der Dryaden im zweiten Akt, mit Alicia Garcia Torronteras als Dulcinea, Agnes Sue als Königin der Dryaden und Jessica Fyfe als Cupido.
Auch Maximiliano Guerra, selbst einst ein Tanzstar der Spitzenklasse, wollte in seiner Fassung dem Don Quixote mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen, mehr noch, er wollte auch seinen Schöpfer Miguel de Cervantes einbeziehen. So ist er es, dem Dulcinea als Muse erscheint, ihm verschiedene Figuren aus seinen Werken vorstellt um dann mit ihm, der sich selbst in seine Hauptfigur, diesen Don Quixote von Lan Mancha, verwandelt oder in sie hinein träumt, durch jene Episoden der Liebesgeschichten um Kitri und Basilio, durch eine Zigeunerszene, durch jenen weißen Traum der Dryaden, letztendlich zum glücklichen Finale zu tanzen. Am Ende ist es Cervantes, der uns seinen Don Quixote schenkt, denn Matteo Crockard-Villa greift zur Feder und beginnt zu schreiben. Was er vergessen haben könnte, wird ihm sein treuer Gehilfe, Louis Stiens als Sancho Panza, hier mal kein Trottel, sondern ein munterer junger Mann, vielleicht diktieren.
So grandios die tänzerischen Leistungen in Stuttgart sind in dieser Aufführung, die choreografische Inszenierung von Maximiliano Guerra kann nicht in gleichem Maße überzeugen. Zu willkürlich wirken seine Versuche, Cervantes und Don Quixote als Doppelexistenz zu zeigen und dies darin gipfeln zu lassen, dass der Kampf mit den Flügeln der Windmühle ein Kampf gegen die auf ihn einstürzenden Wortfetzen seiner Ideen und wahnhaften Vorstellungen im Bühnenbild von Ramon B. Ivars ist. Aber daran stört sich das Publikum nicht. Die Stuttgarter feiern in einer restlos ausverkauften Repertoirevorstellung ihre Tänzerinnen und Tänzer, insbesondere Ami Morita und David Moore in ihren Rollendebüts als Kitri und Basilio. Da dachte ich dann doch wieder an Dresden. Meine Güte, wir haben hier so grandiose Tänzerinnen und Tänzer, da wünschte ich mir öfter solche Reaktionen des Publikums.
Und dann war mir doch so, als hätte der argentinische Tänzer Maximiliano Guerra, der auf allen großen Ballettbühnen der Welt Triumphe gefeiert hat, der mit Stars wie Carla Fracci, Maya Plissetskaya oder Alessandra Ferri tanzte, auch schon in Dresden getanzt. Und wenn, dann ganz bestimmt in einer Gala, zur Zeit der Ballettdirektion von Vladimir Derevianko. Ein Anruf beim Archiv der Staatstheater – die gute Seele, Frau Schütze, „einen Moment“, der Rückruf kommt sofort, meine Erinnerung hatte mich nicht getäuscht, und alles ist wieder klar. Guerra tanzte mit seiner Partnerin Cecilia Kerche aus Rio de Janeiro sogar zweimal hier. Zunächst im September 1995, Grand Pas de deux, 3. Akt »Schwanensee« und jenen unverwüstlichen Reißer für exzellente Galaprogramme, »Diana und Aktaeon« von Agrippina Waganowa. Zwei Jahre später im Juli war das Paar wieder zu Gast in der Semperoper, diesmal mit »Grand Pas Classique« von Victor Gsovsky und einem Ausschnitt aus »La Bayadère«, mit dem Dresdner Ensemble.
Ach so, eigentlich war ich ja wegen der Ausstellung Francis Bacon nach Stuttgart gefahren. Das Ballett kam dazu, zum Glück, und dazu kam auch noch eine für mich überraschende Information. Demnächst werden sich auch Bacons Figuren wieder auf der Tanzbühne bewegen. Ab März gibt es am Theater in Heidelberg mit der dortigen Dance Company »Bacon« von Nanine Linning. Sie nimmt zehn Jahre nach der niederländischen Uraufführung ihr Stück zur Musik von Jacob ter Veldhuis wieder auf, „eine Choreografie von wilder Schönheit über Bestialität, Körperlichkeit, Sinnlichkeit und Aggressivität“, hieß es damals in der Amsterdamer Zeitung De Volkskrant.
Ich bin sicher: das Tanzjahr 2017 hält noch etliche Überraschung bereit.
Nächste Termine »Don Quijote«: 19., 20., 23., 26. Mai 2017