Schon längst geht man ins Theater nicht nur wegen des Theaters. Ins Staatsschauspiel Dresden also nicht nur wegen der Schauspielerei. Musikliebhaber treffen dort auf Konzerte der Dresdner Philharmonie, solange die noch „unterwegs“ ist. Genre-Grenzüberschreiter finden in diversen Produktionen des Sprechtheaters musikalische Anteile – für »Musik in Dresden« war nun ein Shakespeare-Abend Anlass zum Schauspielbesuch. Eigentlich …
Shakespeare, das ist doch ein Mann des Wortes? – Dieser Einwand ist völlig berechtigt, sieht man einmal davon ab, das schon Shakespeares Sprache die pure Musik ist. Im Original sowieso, in guten Übersetzungen aber auch. Wenn der Abend jedoch mit »Shakespeare & Woods of Birnam in Concert« überschrieben ist, wird Eingeweihten sofort klar, dass hier etwas fortgesetzt wird, was man aus der 2012 herausgekommenen »Hamlet«-Inszenierung von Roger Vontobel bereits kennt.
Fortgesetzt? Nun, die Band um den Schauspieler Christian Friedel gab es bereits vor diesem »Hamlet«. Der von Bühne und Film (u.a. »Das weiße Band«) bekannte Mime wollte sich nie auf ein einziges Fach festlegen lassen, sowohl seine Interessenlage als auch die Begabung reichen weit darüber hinaus. Sie verbinden Schauspielerei und Musik mit dem Faible für William Shakespeare. Schon der Name »Woods of Birnam« führt auf direktem Wege in die schottischen Hexen-Wälder der Tragödie »Macbeth«.
Ja doch, hier wird etwas fortgesetzt, tiefer in die Geschichte(n) hinein, weiter mit der Verbindung uralter Mythen und modernen Musik. Und zugleich wird etwas Neues geschaffen, eine Kunstform, die sehr zahlreich ein junges Publikum anlockt, das am Ende der Performance äußerst begeistert eine Zugabe ertrampelt, ehe es in die Dresdner Winternacht stapft.
Eigentlich müsste nun also über diesen Abend berichtet werden, der am oberen Bühnenportal mit einem zu lesenden Querschnitt aller Shakespeare-Texte beginnt, in denen es „Welcome“ heißt. Blättert man in seinen Worten, ist dieses „Willkommen“ eine häufige Vokabel, am schönsten vielleicht im »Coriolan«: „Welcome, ladies, Welcome!“ Über einen bild- und lautstarken Abend, der aus fünf Akten besteht und gar nicht erst den Anspruch vorgibt, „den ganzen Shakespeare“ in nur rund zweieinhalb Stunden zu zeigen. Statt dessen gliedern Friedel & Band ihr Suchen in „Search“, „Hamlet“, „Transformation“, „Macbeth“ und „Echo“, tauchen ab in die Düsternis verzweifelter Geister, setzen Zäsuren mit Momenten, die ganz der literarischen Kraft vertrauen, blenden lichtvoll auf und tönen lautmalerisch impulsiv – über diesen Abend zu schreiben, das hieße, eine deutliche Einladung auszusprechen. Noch gibt es zwei Vorstellungen (20. Januar und 5. Februar), schon sind – wegen der zu Recht großen Nachfrage – zwei Zusatztermine (2. April, 13. Mai).
Aber warum über solch einen Abend berichten, der eine gewaltige Collage ist, eine gewaltig mitreißende Collage gar, die Shakespeare zweisprachig ins Heute rückt, aus seinen Stücken und Sonetten zitiert, Friedel als Sänger, Regisseur, Instrumentalist und Schauspieler zeigt (auch als Schauspielerin!), seine mimische und vokale Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellt, die exzellente Band (hervorgegangen aus Polarkreis 18) auftrumpfen lässt und insgesamt eine geniale Mixtur von Wort und Klang, Spiel und Verwandlung, Licht und Video darstellt? Einen Abend, der sogar seine Kopflastigkeit gekonnt mit Witz und Grusel verbindet? Der ergriffen macht und lachen lässt – wenn etwa die vorgeblich live tätige Übersetzerin das Multitalent Friedel zum Verzweifeln bringt und das Publikum zum gemeinsamen Bier einlädt? Der bassig wummern lässt, dass die Frequenzen noch am heimischen Schreibtisch zu spüren sind?!
Über all dies muss nicht geschrieben werden, wenn – ja wenn man die nicht weniger großartige Doppel-CD mitgenommen hat, die diesem Abend mindestens ebenbürtig ist. Staunenswert ist nicht nur die umwerfende Gestaltung des Booklets, das in diesem Fall ein richtiges Buch ist (herausgegeben von Theater der Zeit) und auf knapp 60 Seiten den Abend in Wort und Bild Revue passieren lässt, sondern auch die exzellent abgemischte Musik. Christian Friedel changiert von sanften Höhen ins rauchig Düstere, erinnert wohl auch mal an die frühe Jane Birkin, fügt sich ins Klanggeflecht von Philipp Makolies (Gitarre, Gesang), Uwe Pasora (Bass, Gesang), Ludwig Bauer (Keyboards, Bassklarinette, Gesang) und Christian Grochau (Schlagzeug) wunderbar ein. Als bizarre Ergänzung wirken auf den CDs das Ensemble Tanderas sowie Janda & Joco mit.
Dass etwas faul ist im Staate D., wird hier ganz elegant und nachdenkenswert transportiert. »Searching for William« betreibt nicht nur die Modernisierung eines Denkmals der Weltliteratur mit musikalischen Mitteln, sondern ist ein Gesamtkunstwerk, das es im kommenden Sommer sogar zu den Salzburger Festspielen schaffen wird (21. August).