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Jetzt erst recht

Musik ist die Sprache der Welt, so ein gern verwendeter Slogan. »Tanz als Muttersprache der Menschheit« heißt ein Buch der Tanzwissenschaftlerin Dorion Weickmann – und dass die Sprache die Quelle der Missverständnisse sein kann, erfahren wir beim Kleinen Prinzen. Um alle diese Dinge geht es in der mehrfach ausgezeichneten musikalischen, tänzerischen und sprachlichen Vision „Babel (words)“ von Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet. Im Programm des Festivals »Theater der Welt«, 1996 in Dresden, hatte der seinerzeit hoch gehandelte Christian Boltansky für seine Produktion »Babylon« sogar den ganzen Turm in das unsanierte Festspielhaus gebaut. Das Publikum konnte ihn besteigen, also selbst wie es die biblische Mythologie sagt, sich gottgleich wähnen. Beim Blick ins Innere dieses Turmes wurde indes nachvollziehbar, was mit „Sündenbabel“ gemeint ist. Was folgte, ist bekannt: der Turm wurde zerstört, die Menschen verstreut und die Sprachen verwirrt. Keiner konnte den anderen mehr verstehen.

Für Cherkaoui und Jalet bedeutet in ihrer 2010 in Brüssel uraufgeführten Babel-Variante die Strafe des eifernden Gottes nicht nur Fluch, sondern zuallererst Herausforderung und auch Chance mit den Mitteln der Kunst, eben der Musik, des Tanzes und der Sprache zu versuchen, ob die Menschen nicht doch miteinander auskommen könnten. Liegt vielleicht in der Vielfalt eine Chance, miteinander auszukommen? Das Fremde nicht bedrohlich und das Eigene nicht als allein seligmachenden Anspruch zu sehen, zu fühlen?

Foto: M.M.

So hat das Europäische Zentrum der Künste mit »Babel (words)« nun an zwei Abenden im jeweils voll besetztem Saal vor begeistertem (vornehmlich jungem) Publikum das neue Jahr eröffnet. Für Intendant Dieter Jaenicke eine programmatische Eröffnung: er spannte in seiner Eröffnungsrede den Bogen von Hollywood nach Hellerau, bezog sich auf die gegen Trump gerichtete Rede von Meryl Streep zur Verleihung der Golden Globes, die unter anderem im Blick auf Menschen anderer Herkünfte sagte: „Wenn wir sie alle aus dem Land werfen, gibt es für uns nichts mehr zu schauen außer Football und Mixed Martial Arts“ und dann noch deutlicher wurde. „Wenn die Mächtigen ihre Position benutzen, um andere zu tyrannisieren, dann verlieren wir alle. Dieser Instinkt, andere zu demütigen, zieht sich in den Alltag von uns allen.“ Gegen solche Gefahren, gegen solche Verluste, gelte es aufzustehen; das sei vor allem die Aufgabe der Kunst und der Künstler, so Dieter Jaenicke, und das Programmkonzept für 2017 spiegelt diesen so wichtigen wie nötigen Ansatz wider.

Denn schon auf diesen programmatischen Jahresbeginn folgen im Februar mit dem Festival »Shifting Realities« ein tänzerischer Dialog zwischen Afrika und Europa und unmittelbar darauf mit »Mashreq to Magreb – Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang«, Tanz, Musik und Kunst aus der arabischen Welt. Der Tanz in seinen vielen Facetten, vor allem immer wieder im Kontext mit anderen Kunstformen, wird auch in diesem Jahr in gewohnter und gewünschter Weise präsent sein. Im März verabschieden sich die weltweit anerkannten Tanzstars, die Zwillingsbrüder Jiří and Otto Bubeníček, in der neuesten Produktion ihrer eigenen Company Les Ballet Bubenicek, mit »Orfeus« als Tänzer endgültig von der Bühne, um künftig als Choreograf und Ausstatter tätig zu sein. Es gibt ein Wiedersehen mit Constanza Macras/Dorkypark mit dem neuesten Stück »The Ghosts«, in dem es um das Leben von Zirkusartisten als sozialer Randgruppe in China geht. Dazu hat Constanza Macras chinesische Akrobaten und Musiker in ihre Gruppe verpflichten können. Das Tanztheater DEREVO nimmt seine erfolgreiche Produktion »Islands – Inseln im Strom« von 2002 wieder auf und wird traditionell mit dem Format »Zwischen den Zeiten« zum Jahreswechsel präsent sein.

Zwei weltbekannte Kompanien werden in diesem Jahr in Hellerau wieder zu Gast sein. Das Cloud Gate Dance Theatre aus Taiwan mit »White Water/Dust« verbindet seine tänzerisch in den Traditionen der eigenen Kultur begründeten beeindrucke Sprache der bewegten und zutiefst bewegenden Bilder mit europäischer Musik des 20. Jahrhunderts, Klaviermusik von Erik Satie und dem 8. Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch, das bekanntlich in Gohrisch entstand. Wer sie einmal erlebte will sie wieder sehen, die Tänzerinnen und Tänzer der Batsheva Dance Company aus Israel. Als Europäische Erstaufführung im Europäischen Zentrum der Künste präsentiert Mr. Gaga, Ohad Naharin, in Dresden, »New York«. Getanzt wird auch in der Fortsetzung des Festivals Dance Transit, jetzt mit Station in Leipzig auf dem Weg von Dresden nach Prag und zurück. Mindestens fünf verschiedene Abende gibt es mit Künstlerinnen und Künstlern aus Prag, Leipzig und Dresden. Mit ihrer neuesten Produktion ist darüber hinaus im Mai und im Juni die Dresden Frankfurt Dance Company zu erleben.

Die Kooperation mit Künstlern aus Dresden, Musik, Tanz, Bildende Kunst ist vielfältig, von besonderem Interesse dürfte im Kontext des Hellerauer Gesamtprogramms das Konzert der Dresdner Sinfoniker unter der Leitung von Marc Sinan gemeinsam mit den Musikern des No Border Orchesters sein. Die musikalische Reise führt nach Rajastan, wo die Ursprünge der Roma liegen sollen. John Morans Oper »The Manson Family« feiert die Uraufführung einer Neufassung, und zum 25jährigen Bestehen des ensemble courage aus Dresden gibt es die Uraufführung »Seven Songs for Sunrise« von Helmut Oehring nach Friedrich Wilhelm Murnaus Film von 1927. Noch weiter zurück, zu den Anfängen in Hellerau, in den Jahren 1911 bis 1914 führt das Projekt »Utopie – Existenz – Utopie. Rekonstruktion und Zukunft«. Nach über 100 Jahren soll die originale Bühne des Festspielhauses mit dem seinerzeit revolutionären Lichtkonzept für einen Monat ab 15. Oktober wieder erstehen. Namhafte Künstler wie Robert Wilson, Richard Sigal oder Constanza Macras von internationalem Rang, sowie Cindy Hammer, Johanna Roggan, Anna Till oder Joseph Hernandez aus der freien Dresdner Tanzszene, die Dresdner Sinfoniker, sind eingeladen sich zeitgemäß mit dieser einst so zukunftsweisenden Rauminszenierung auseinanderzusetzen.

Zu dem Programm gehören Ausstellungen mit Originalen den geistigen Väter des Hellerauer Instituts: Dalcroze, Appia, Tessenow und von Salzmann. Schon im Juli kann man die ersten Bauproben erleben, denn diese – ganz im Sinne dieses außergewöhnlichen Projektes der Erinnerungen für die Zukunft – werden performativ gestaltet und somit frei sein für die Öffentlichkeit. Festspielhaus und das Festspielgelände stehen auch im Mittelpunkt des Projektes »springhouse – Laboratorium, Residenz und Festival«. Und weil vor 500 Jahren Martin Luther seine berühmten Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte und damit die Reformation einleitete, was in diesem Jahr nicht nur in kirchlichen Kreisen gefeiert wird, führt Karsten Gundermann mit Solisten und dem Landesjugendorchester Sachsen sein Reformationswerk, »Des Menschen Wille – eine musikalische Szene nach Martin Luther und Erasmus von Rotterdam«, erstmals in Hellerau auf. Mit der Aufführung der Friedensmesse »The armed Man« von Karl Jenkins wird zudem ein klarer Bezug zur thematischen Ausrichtung des Jahresprogramms hergestellt, wenn in dieser liturgischen Komposition auf das „Allahu akbar“ der Muslime das „Kyrie eleison“ der Christen folgt. Musik als Sprache der Welt, Musik als Möglichkeit der Verständigung zwischen den Religionen. In diesem Sinne werde auch die Reihen fortgesetzt, das RONG TRIO mit seinen regelmäßigen Konzerten feiert zehnjähriges Jubiläum, TanzNetzDresden wird wieder in der Reihe LINIE 08 präsent sein, und ganz sicher ist der Saal proppenvoll und die Wände wackeln wenn es auch in diesem Jahr wieder heißt »Floor on Fire – Battle of Styles«.

Mit der babylonischen Sprachverwirrung, mit den Chancen für die Kunst aus göttlicher Strafe menschlichen Segen werden zu lassen, guten Willen vorausgesetzt, hat das Jahr in Hellerau begonnen. Und weil derselbe eifernde Gott, der den Turm zu Babel zerstörte, auch den Menschen verboten hatte, sich ein Bildnis von ihm zu machen, konnten die Menschen nicht aufhören, sich Bilder zu machen, von ihm, von sich, von der Welt. Zum zweiten Mal findet da in diesem Jahr der PORTRAITS -HELLERAU PHOTOGRAPHY AWARD statt. In Kooperation mit der Kunstagentur Dresden (die auch als Herausgeber von »Musik in Dresden« fungiert) wird dieser internationale Wettbewerb der Porträtfotografie ausgerichtet. Eine renommierte Jury hat aus mehr als 2500 Einsendungen 50 Porträtserien ausgewählt. Zu sehen sind diese ab 2. März, nicht nur in Hellerau, auf dem Grünen Hügel der Moderne, sondern auch in Tal, in verschiedenen Galerien der Dresdner Innenstadt.

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