Die Salzburger Premiere zu den Osterfestspielen hat viele gelangweilt. Selbst Solisten wie José Cura und Carlos Álvarez mussten Buh-Rufe kassieren, weil sie nicht in jedem Punkt ideal, optimal und unmenschlich perfekt gewesen sind. Das zahlungskräftige Publikum ist halt verwöhnt und will für sein Geld das Beste vom Besten.
Doch auch bei der Übernahme an den Kooperationspartner, die Dresdner Semperoper, ließ man ganz große Namen auffahren, allen voran Chefdirigent Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle. Der punktet hier ja normalerweise mit den Hausgöttern Wagner und Strauss. Wie er sich nun wohl mit dem Italiener Giuseppe Verdi geschlagen hat? Viele wollten es wissen. Die Premiere war ausverkauft und von einem erwartungsfrohen Publikum gefüllt. Ob wohl auch Gäste aus Salzburg dabeigewesen sind? Dort ist Thielemann ja im fünften Jahre Künstlerischer Leiter, die Staatskapelle Residenzorchester – und diese Festspiele standen 2016 zum 400. Todesjahr ganz im Zeichen von William Shakespeare.
Die Salzburger Enttäuschung wiederholt sich
Verdi musste also ganz zwangsläufig auf dem Programm stehen, denn der hat ja eine Menge Theater von Shakespeare für die Oper umgesetzt. Wer nun einen anderen »Otello« erwartet hat als in Salzburg, sah sich gründlich getäuscht. Die größten Unterschiede gab es zwischen dem Festspielhaus und der Semperoper – denn in Salzburg ist die Bühne viel größer, in Dresden war das Ausstattungstheater in komprimierterer Form zu erleben. Was aber kaum auffiel, weil die Personage hier wie dort kaum agierte. Solisten und Chor füllten nur statisch die Bühne. Dass sich diese größte Enttäuschung nun wiederholt hat, weil Regisseur Vincent Boussard sein Konzept lediglich eins zu eins nach Dresden übertragen hat, dürfte an gesellschaftlichem Wahrnehmungsvermögen – um nicht zu sagen: Ignoranz – kaum zu überbieten sein.
»Otello« – das ist Krieg, ist Liebe, das ist Intrige, das ist Eifersucht, das ist Mord – da müsste es doch höchst spannend zugehen?! In der Musik ist es tatsächlich so, da geht es spannend zu, höchst dramatisch sogar. Denn in der Musik steckt alles drin, abgründige Handlung und tiefste Emotionalität, darauf scheint sich das Regieteam leider auch verlassen zu haben. Die Personage auf der Bühne gerät kaum in Bewegung, agiert nicht, findet wenig Bezug zueinander. Im dunklen Bühnenraum mit mystisch wirkenden Licht- und Schattenspielen wird allenfalls auf Eindruck gesetzt. Als zusätzliche Rolle schreitet ein Schwarzer Engel durch den Raum – um es auch dem schwerfälligsten Unverstand deutlich zu machen, hier geht es um Leben und Tod. Ach ja?
Wer seinen Shakespeare gelesen hat, sollte das eigentlich wissen. Das Publikum hat entsprechend mit heftigen Buh-Rufen auf diese Regie-Leistung reagiert. Aber erst, als das Inszenierungsteam auf die Bühne kam. Insgesamt gab es gut zehn Minuten Beifall, doch eben nicht für diese verschenkte Regie, die lediglich für ein paar unvergessliche Bilder gesorgt hat – wehende Tücher in Großformat, weil es ja um ein Segelschiff und um das Taschentuch von Otellos Frau Desdemona geht, um diesen angeblich alles erklärenden Liebespfand -, sondern vor allem für die Musik. Denn ebenso wie Ostern in Salzburg hatte die Semperoper ja große Namen für diesen »Otello« versprochen. Der Gesamteindruck des Abends wurde damit nur mäßig gerettet.
Die Staatskapelle hat natürlich wieder einmal ihre Perfektion bewiesen, war aber stellenweise einfach zu laut, hat die Sänger und mitunter sogar den Chor überdeckt. Zu Beginn gab es hier und da Wackler, vor allem in einigen Chorszenen, die Christian Thielemann überraschenderweise nicht umgehend korrigiert hat.
Ansonsten war der »Otello« ein Stimmfest, vom Chor über sämtliche kleineren Rollen bis hin zu den Hauptpartien mit Brillanz ausgefüllt. Als Otello war Stephen Gould zu erleben, der eben erst als Wagners Siegfried in Dresden geglänzt hat, und nun ganz unangestrengt diesen Verdi übernahm (für den im vorigen Jahr verstorbenen Johan Botha). Die Desdemona wurde sehr klangschön und ergreifend von Dorothea Röschmann gestaltet, dieser verdientermaßen glücklichen Grammy-Preisträgerin. Den machtgeilen Intriganten Jago hat Andrzej Dobber vokal mit hintergründig dunklem Samt umhüllt – insgesamt war da ein Ensemble zu erleben, das man sich derzeit kaum besser wünschen kann. Auch die Hausbesetzung trug dazu ihren Part bei – sowohl die wohltönende Emilia von Christa Meyer als auch der perfekte Lodovico von Georg Zeppenfeld.
Da vor allem nach der Pause auch die Kapelle sensibler begleitet hat und alle Solo- als auch in den Ensembleszenen überzeugen konnten, wurde es unterm Strich dann doch ein kulinarischer »Otello« für musikalische Feinschmecker. Was freilich umso enttäuschender ist, wenn man bedenkt, was in diesem Opernstoff alles drinsteckt! Schon in Shakespeares Vorlage aus dem 16. Jahrhundert und nicht minder im Spätwerk des italienischen Risorgimento ist so viel Aktualität – die Angst vorm Fremden, nur weil es ‚fremd‘ ist, Otello als Mohr, dessen Integrationswille und Blindheit, gepaart mit Machtgier bis hin zur Selbstverleugnung, schließlich der Königsmord durch rattenhaftes Intrigantentum – schon in Salzburg hat es verwundert, wie bei diesem Stück auf blanke Ästhetisierung gesetzt werden kann. Gerade im Dresden von heute hätte diese Oper wesentlich mehr verdient!