Ein einmaliges Experiment haben der künstlerische Leiter der Osterfestspiele Salzburg, Christian Thielemann, und Intendant Peter Ruzicka, zum runden fünfzigsten Festspieljubiläum gewagt: die im Gründungsjahr nicht unumstrittene »Walküre«-Inszenierung von Herbert von Karajan sollte, vorsichtig zeitgemäß befragt, erneut auf die Bretter des Großen Festspielhauses wandern. Solche Versuche sind im Licht einer regelrechten „Retro-Bewegung“ (Ruzicka) zu sehen, wie sie etwa kürzlich in Lyon interessante Wiederbegegnungen mit der Ruth-Berghaus-»Elektra« ermöglichte (Link auf MiD).
Das Publikum – das gleich vorweg – zeigte sich begeistert von diesem „Museumsbesuch“ (noch einmal Ruzicka). Endlich, endlich wieder einmal würde das Werk ernstgenommen, seufzten die Salzburger Bühnenheldinnen von 1967, Christa Ludwig und Gundula Janowitz, schon im öffentlichen, von Christoph Wagner-Trenkwitz kurzweilig moderierten Vorgespräch. Frei von „hässlichen Regietheater-Auswüchsen“ könne man so den Wagner endlich einmal wieder genießen! Wobei sich die beiden Sängerinnen eben auch erinnerten: was habe man den Festspielleiter im Gründungsjahr nicht schon im Vorfeld mit Spott und Häme belegt für diese Inszenierung! Der Applaus nach dem ersten Aufzug dagegen – minutenlang, „niemals wieder im Leben“, erinnerte sich Gundula Janowitz, habe sie solche Beifallsstürme erlebt.
Mehr Licht!
Tatsächlich hat sich die Regisseurin Vera Nemirova mit ihrer „Befragung“ des legendären Abends vornehm zurückgehalten. Die monumentale Esche des legendären Bühnenbildners Günther Schneider-Siemssen steht pappmaché-knorrig festgewurzelt im Bühnengrund des ersten Aufzugs, Bühnenbildner Jens Kilian hat den handelnden Personen ein zeitgemäßes Outfit und Olaf Freese etwas mehr Licht spendiert. Das hat tatsächlich wenig Aufregendes, vielleicht eben wie ein nächtlicher Besuch im Museum – weswegen das Regieteam am Ende auch mit herzlichem Applaus und einigem Jubel bedacht wurde. Diejenigen im Publikum, die vor fünfzig Jahren bereits die Karajansche Inszenierung bewundert haben, durften sich glückselig in alte Zeiten zurückversetzt fühlen. Dabei ists kaum möglich, diese Inszenierung in ihrer künstlerischen Handschrift zeitlos zu bewerten: über allem schwebt ja der Karajansche Geist und adelt das Unternehmen. Beamte man einen außerirdischen Opernkritiker nach Salzburg und bäte um Bewertung, würde der wahrscheinlich urteilen: lähmend statisch und monumentalistisch! Wie gut, dass da die Sänger und das Orchester eine fast überirdisch-entrückende Leistung boten. Von Christa Mayers Fricka und Georg Zeppenfelds Hunding hatte sich das Dresdner Publikum schon vor Jahresfrist verzaubern lassen; nun kamen die Rollendebüts von Vitalij Kowaljow (Wotan), Anja Harteros (Sieglinde) und Anja Kampe (Brünnhilde) hinzu; die Debütanten beglückten durch die Bank, wobei das Orchester unter Thielemanns sängerliebendem Stab die leise Erschöpfung des schweizerisch-ukrainischen Basses gegen Ende nobel kaschieren half. Eine fantastische Walkürenschar und ein freundlich-abgeklärter Peter Seiffert (dessen Debüt an der Bayerischen Staatsoper heuer bereits 35 Jahre zurückliegt!) ließen keine Wünsche offen.
Und, ja, das Orchester! „Endlich angekommen“ sei die Staatskapelle in Salzburg, preisen die hiesigen Printmedien den in allen Solopositionen charakteristischen, dennoch insgesamt bewundernswert abgestimmten Orchesterklang dieser Tage. Von allen Mitwirkenden erhielten die Dresdner Musiker am Ende, pittoresk aufgereiht auf Schneider-Siemssens schrägliegendem Bühnen-Ring, mit Abstand den stärksten Applaus, garniert mit Jubeln und Trampeln. Inspiriert von diesem Auftakt-Erfolg, werden unsere Dresdner die nächsten Tage gutgelaunt angehen. Heute Abend erklingt Mahlers „Neunte“ unter Franz Welser-Möst, morgen zelebriert Myung-Whun Chung das Fauré-Requiem, am Dienstag folgt wieder der Chef mit der „Vierten“ Bruckner. Musikalische Jubiläumsgrüße der Wiener und Berliner Philharmoniker folgen.
aus Salzburg: Martin Morgenstern, Michael Ernst