In der Semperoper gabs ja schon sehr eigenwillige Inszenierungen. Die neue Fassung von Mozarts »Entführung aus dem Serail« beweist das noch einmal. Dass diese Oper des Wiener Meisters fantastisch ist, davon konnte man sich in der musikalischen Gestaltung unter Christopher Moulds wieder überzeugen. Zwar fehlte etwas von jenem geschlossenen Klang der Staatskapelle, der sie so berühmt macht. Die Stammbesetzung weilt ja gerade zu den Osterfestspielen in Salzburg. Mit viel Aushilfen konnte der legendäre Klang nur andeutend wirksam wirksam werden. Am Ende der Osterwoche wird die Kapelle dann mit einem Sonderkonzert zu den Dresdner Mozarttagen wieder in Dresden sein.
Dennoch sind die Mozartschen Opern des Repertoires bühnenpräsent: »Titus«, »Figaro«, »Cosi« und »Don Giovanni«; Highlights des Semperopern-Programms. Ein Mozart-Pasticcio kommt neu dazu, in dem „7 Personen auf der Suche nach ihrer Oper“ sein sollen. Was dort in einem Stück an Arien und Szenen vorgestellt wird, das kann man bei den Mozarttagen in Gänze erleben.
Die Neuheit dieser Mozartehrung ist die Neuinszenierung der »Entführung aus dem Serail« des niederländischen Regisseurs Michiel Dijkema, der auch selbst das Bühnenbild entwarf. Dass diese Oper als Märchen erzählbar ist, zeigt neue Akzente, die nicht immer überzeugen konnten und sich in szenischem Aktionismus verlor. Wie einst der Prinz Dornröschen nur durch eine schier undurchdringliche Dornenhecke erreichen konnte, so hier der spanische Prinz Belmonte durch sumpfiges Gelände seine Konstanze; wie überhaupt der Palast des Selim auf Schlamm gebaut ist. Alle Darsteller tragen dreckverschmierte Stiefel. Und Belmonte droht fast im Sumpf zu versinken. Die Musik Mozarts lässt nichts von diesem Umfeld erahnen, so klar und sauber ist sie, zeichnet psychisches Empfinden nach. Die Fantasy-Inszenierung verfremdet eine klar erzählte Handlung, die von der im Harem gefangen gehaltenen Braut Dornröschen-Konstanze (hier also eine Sumpfblüte) bis zum Prinz Belmonte führt, der sie zu befreien trachtet. Der böse Wächter Osmin lässt zwar niemanden in die Sumpfgärten des Serail, aber alles geschieht wie vorgesehen. Man findet watend zusammen und beschließt zu fliehen. Mit viel Blitz und Donner gehen die Vorbereitungen vor sich. Dass der mit Wein und Schlafpulver außer Kraft gesetzte Wächter wach werden musste und die Fliehenden ertappt, ist klar. Die Bestrafung könnte folgen. Sie beginnt in der plastisch konkret auf die Szene gestellten mittelalterlichen Folterkammer. Osmin jubelt! Aber der Herr Bassa Selim, der in tiefstem Inneren Kontanze liebt, entscheidet aufklärerisch menschlich. Als Beispiel seiner Güte verzeiht er und lässt die Gefangenen Konstanze – Belmonte sowie deren Gefährten Blonde und Pedrillo frei. Großes Finale – bunt und farbenreich, der ganze orientalische Hofstaat mit zwei Kamelen samt prunkvoll gewandeter Völkerschaft des Chores vor sonnenhellem Hintergrund. Die Wirkung war dekorativ perfekt.
Die sängerische Besetzung leider nicht ganz so. Die Slowakin Simona Saturová als Konstanze hatte Koloraturen a la Königin der Nacht zu bewältigen, die sie genauso klangvoll vorstellte wie die Finnin Tuuli Takala die des Blondchen. Die Männer hattens da schwerer. Der Pedrillo von Manuel Günther von der bayrischen Staatsoper überzeugte schon besser als der Spanier Joel Prieto als Belmonte, der von anfänglicher Befangenheit sich allmählich erst freisang. Der Nowosibirsker Dimitrij Iwaschenko als Osmin setzte zusammen mit Pedrillo die komischen Akzente. Und groß und erhaben strahlte Erol Sander, den man aus der Fernsehserie »Mordkomission Istanbul« kennt, als menschlich gezeichneter Bassa Selim über dem Geschehen. Der kurze, aber herzliche Beifall galt offensichtlich mehr dem Show-Wert der Ausstattung als dem künstlerischen Wert.