Myung-Whun Chung, Erster Gastdirigent der Sächsischen Staatskapelle, war 2008 schon einmal auf den Spuren seines Freundes und Mentors Olivier Messiaen in der deutsch-polnischen Grenzregion unterwegs. Damals wurde er durch einen verwilderten Wald am Stadtrand von Zgorzelec geführt, wo Jahrzehnte zuvor eines des wichtigsten Kammermusikwerke des 20. Jahrhunderts vollendet und uraufgeführt worden ist: Messiaens »Quatuor pour la fin du temps« („Quartett für das Ende der Zeit“) erklang am 15. Januar 1941 in der sogenannten Theaterbaracke des Kriegsgefangenenlagers Stalag VIII A zum ersten Mal. Ein Schlüsselwerk der Moderne.
Von Juni 1940 bis März 1941 war Olivier Messiaen hier interniert und hat unter unsäglichen Bedingungen seine berühmte Komposition geschaffen. Inzwischen ist an dieser Stelle ein Ort der Begegnung und des Gedenkens gewachsen, hat seit Januar 2015 der Meetingpoint Music Messiaen als Europäisches Zentrum für Erinnerung, Bildung, Kultur ein Zuhause gefunden. Zu verdanken ist dies dem unermüdlichen Engagement von Albrecht Goetze, der sich von Messiaens Musik inspirieren ließ und sie als Symbol für die Kraft des menschlichen Geistes gegen Gewalt und Zwang erkannt hat. Goetze war es auch, der seinerzeit Myung-Whun Chung über das Gelände geführt hat, dessen Antlitz heute gänzlich verändert erscheint. Gedenktafeln erinnern an die früheren Lagergebäude, Metallplastiken von Matthias Beier interpretieren die einzelnen Sätze des Quartetts, vor allem aber besticht das am 15. Januar 2015 geweihte Gebäude mit Konzertsaal und Ausstellungsflächen die Besucher. Auch der koreanische Pianist und Dirigent Myung-Whun Chung war beeindruckt, wie sehr sich dieser Gedenkort in wenigen Jahren verändert hat.
In einem Gesprächskonzert mit Tobias Niederschlag, dem Konzertdramaturgen der Sächsischen Staatskapelle, erzählte Chung über sein Verhältnis zu Messiaen: „Für mich ist er immer hier, ich kann ihn gar nicht vermissen.“ Messiaen sei für Chung am ehesten ein Mensch, dem das Wort „heilig“ zustehe. Aus der einstigen Beziehung zu diesem Meister leite sich für den Nachgeborenen eine große Verantwortung ab: „Ich will nicht dessen 25. Todestag zelebrieren, will nicht über Vergangenes referieren, sondern versuchen, der nächsten Generation zu helfen“ – so Chungs Anspruch.
Gemeinsam mit Musikern der Staatskapelle – Robert Oberaigner (Klarinette), Matthias Wollong (Violine) sowie Friedwart Christian Dittmann (Violoncello) – führte Myung-Whun Chung vor einem ergriffenen Publikum das „Quatuor pour la fin du temps“ im Meetingpoint auf. Das Konzert war der kurz zuvor verstorbenen Geigerin Johanna Fuchs gewidmet, die dem Orchester seit 2008 als festes Mitglied angehörte und die am 17. April einer schweren Krankheit erlag.