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Ein großer, seltener Moment

Elvira Hasanagić (Gräfin), Christian Grygas (Graf). Fotos: Stephan Floß

Es gibt in der Musikgeschichte zwar eine Fülle von bezaubernden Werken, aber es gibt nur wenige Momente, in denen ein zutiefst menschlicher Urgrund unserer Existenz sichtbar und hörbar wird. Ich zähle dazu den Schrei der Volksmassen: „Barrabam!“ in Bachs Matthäus-Passion, der in der dreifachen Wiederholung eines verminderten Septakkords allen Hass zum Ausdruck bringt, der auf die Vernichtung eines Menschen gerichtet ist.

Als Gegenentwurf dazu gibt es in der »Hochzeit des Figaro« von Mozart eine kleine Szene von zehn Takten, die uns mit aller Unbill der menschlichen Existenz versöhnt: wenn der Graf Almaviva kurz vor dem Finale des 4. Aktes vor seiner Gräfin Rosina auf die Knie geht und um Verzeihung bittet. Es ist zugleich der Sieg der Humanität.

Denn die Verwirrungen des tollen Tages kulminieren abends im gräflichen Garten: Susanna und die Gräfin haben die Kleider getauscht, um den Grafen zu verwirren und ihm eine Lehre zu erteilen. Schließlich zieht der Graf Cherubino, Barbarina, Marcellina und Susanna aus einem Pavillon und will sie als Sündenböcke bloßstellen. Unerbittlich widersetzt er sich den Verzeihungswünschen aller mit seinem „NEIN!“ Schließlich erscheint die Gräfin und hofft, dass wenigstens sie für alle um Verzeihung bitten kann.

Da bittet der Graf: „Contessa, perdone“ oder nicht ganz so elegant auf Deutsch: „Verzeih mir, verzeih mir“ auf eine schlichte Melodie von 4 Takten. Die Gräfin führt diese Melodie fort und gewährt ihrerseits Verzeihung: „Più docile io sono“, was wörtlich heißt: „Ich bin gelehriger und ich sage ja“.

Für den schlichten Text von Lorenzo da Ponte hat Mozart eine einmalige musikalische Fasson gefunden, die ganz schlicht in zweimal vier Takten daherkommt. Aber sie ist Ausdruck der höchsten Stufe der klassischen, der schönen Humanität, wie sie wohl einmalig von einem Künstler in dieser Kürze formuliert wurde:„Was hier Ereignis wird, das ist eine Art von Sinnenfreudigkeit, zugleich von Sinnenunschuld, die den Geist nicht tötet, sondern gerade wahrhaft lebendig macht. Was hier Ereignis wird, das ist das Leben von so schöner Ausgeglichenheit und erhebender Geistigkeit und wundervoller Weite, das die Idee der schönen Humanität für uns überzeugend macht.“ (Hermann August Korff)

In der Premiere des »Hochzeit des Figaro« in der neuen Staatsoperette saß neben mir ein Kenner der Partitur, und ich sah, wie er aufmerksam dem Bühnengeschehen lauschte und mit seiner rechten Hand dem Grafen den Einsatz für seine vier Takte geben wollte. Aber es war lange still. Endlich, nach langer Pause, kam Christian Grygas‘ Einsatz. Auch die Antwort der Gräfin, Elvira Hasanagić, setzte erst nach langer Pause ein.

Regisseur Axel Köhler und Dirigent Andreas Schüller nahmen sich für diese Szene viel Zeit, sehr viel Zeit, wie ich sie noch nie in den vielen Aufführungen des »Figaro« erlebt habe. Damit wurde dieser Szene jene zentrale Bedeutung auch im theatralischen Sinne gegeben, die den „Tollen Tag“ zu mehr macht als einer komischen Oper herkömmlicher Art zukommt, (wobei, ganz nebenbei, an Spielfreude und Komik während der ganzen Aufführung nichts verloren ging).  Allein dieser große kurze Moment zeigt doch, dass Köhler tiefstes Verständnis für die Besonderheit dieser einmaligen Szene empfunden und dies theatralisch auch noch überzeugend umgesetzt hat.

Nächste Vorstellungen: 4., 17., 25.6.

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