Eine tief beeindruckende Aufführung ging am Wochenende über die Bühne der Dresdner Semperoper. Langanhaltender Beifall, Bravi und standing ovations feierten die bildhafte Inszenierung von Mieczysław Weinbergs Oper »Die Passagierin« in zwei Akten, acht Bildern und einem Epilog.
Nach einer fiktiv ausgestalteten Handlung des autobiographischen Romans von Zofia Posmysz, die selbst am Premierenabend anwesend war, gestaltete der Komponist mit seinem Librettisten Alexander Medwedew ein Werk, das Schuld und Sühne im KZ Auschwitz nachgeht. In den Nachkriegsjahren reist eine ehemalige SS-Aufseherin mit ihrem Mann, einem angehenden Diplomaten, per Schiff nach Brasilien. Auf der Reise begegnet sie – erinnerungsschwer – einer ehemaligen polnischen Gefangenen, von der sie meinte, sie sei tot. Ihr Leben in der SS-Gemeinschaft wie mit den Gefangenen wird lebendig und in einzelnen Szenen aufgedeckt. Die bereits in Frankfurt/Main realisierte Inszenierung von Anselm Weber, Intendant des Schauspiels in Bochum, wurde nun in Dresden aufgenommen.
Ein Schiffsbau mit Szenen an Deck und im Inneren des Schiffes machte es möglich, dass auf der Drehbühne schnelle Wechsel von Reisebildern der 1960er Jahre und das Elend im Bau der 1940er Jahre in einer KZ-Frauenbaracke vorgenommen werden konnten. In diesem Umfeld entfaltet sich die fast kriminalistisch geführte Aufdeckung der Schuld der Aufseherin Lisa und die Liebe der Polin Marta, die ihrem Verlobten Tadeusz wieder begegnet. Er hat Goldschmiedearbeiten zu verrichten, fertigt dabei ein Medaillon mit dem Gesicht Martas als Madonna. Als er vor den SS-Offizieren als Geiger einen Walzer aufspielen soll, interpretiert er – begleitet von den Streichern des Orchesters – Bachs d-Moll-Chaconne. Den zur Unterhaltung gekommenen Besuchern gefällt das nicht. So wird er zum Tode an der „Schwarzen Wand“ abgeführt. In einem Epilog mit Marta am heimatlichen Fluss denkt Marta an ihre geschundenen und liquidierten Mitgefangenen, die man nicht vergessen dürfe; denn: „Wenn eines Tages eure Stimmen verhallt sind, dann gehen wir zugrunde“. Lisa, die meint, als Aufseherin ihre Pflicht getan und dabei noch menschlich gehandelt zu haben, erkennt ihre Schuld kaum, zumindest nicht in der Opernhandlung. Ein schlechtes Gewissen? – Reicht das? -.
In den Jahren des „Tauwetters“ 1968 nach Stalins Tod geschrieben, erfasst die musikalische Ausdruckswelt in einer emotional tief ernsten Gestaltung, sich überzeugend einordnend in eine Tradition, die von Beethovens »Fidelio« über Verdis »Nabucco« bis zu den Werken, die von Schönbergs »Überlebendem von Warschau«, Menottis »Konsul« oder Dallapiccolas »Der Gefangene« reicht und natürlich Schostakowitschs »Katerina Ismailowa« einbezieht. Gerade in der Zeit, als Schostakowitsch seine von der stalinistischen Administration verdammte Oper von 1936 wieder neu entdeckte, schrieb Weinberg an seiner Oper, die er selbst nie hörte und sah. Das Werk des 1996 verstorbenen Komponisten wurde erst 2006 in Moskau konzertant und 2010 bei den Bregenzer Festspielen szenisch uraufgeführt. Die Dresdner konnten sich nun eine eigene Vorstellung von dieser eindringlichen Oper machen, die Schostakowitsch nach den Vorspielen des Komponisten am Klavier als ein „in Form und Stil meisterhaft vollendetes Werk“ rühmte.
In der Aufführung mit dem Dresdner Ensemble von Staatskapelle sowie Solisten und Chor unter dem seit 2015 als Kapellmeister an der Leipziger Oper wirkenden Christoph Gedschold entstand eine nicht minder beeindruckende Interpretation. Die aus der Nähe Schostakowitschs geborene Klangwelt fand dabei jene intensiv packende Ausstrahlung sinfonischen Charakters. Für die Gefangenenchöre und -soli prägte eine mehr lyrisch verhaltene Ausdruckswelt mit Xylophon, Vibraphon, Celesta zum Klang der Streicher, die durchaus auch Volkslieder einschloss. Das war faszinierend. Und dazu gab es sängerische Leistungen wie die von Christina Bock als von Schuld belastete Lisa oder die Polin Barbara Dobrzanska als bei allen Leiden Lebenszugewandtheit ausstrahlende Marta und natürlich Markus Butter als widerständiger Tadeusz. Etwas verloren die Gestaltung von Walter durch Jürgen Müller, dem angehenden Diplomaten, Lisas Gatten. Er geistert durch die KZ-Szenen, füllt aber kaum das Sinnbild des Deutschen aus, der zwar die Zeit miterlebte, aber von nichts wissen wollte. Dass diese Soli ansonsten wirkungsvoll in Szene gesetzt werden konnten, verdanken sie auch der dezenten Interpretation der vielen „kleineren“ Rollen des Dresdner Ensembles von Emily Dorn über Ewa Zeuner, Lucie Ceralová bis zu Sabine Brohm. Sie wurden zu besten Mitstreitern, wie auch der oft im Hintergrund gehaltene Chor in beeindruckender Ausdruckskraft. Anselm Weber als Regisseur konnte jeden Einzelnen akzentuieren.
Die Bühnenbilder von Katja Haß, die treffenden Kostüme von Bettina Walter, die Lichteffekte von Olaf Winter und die sinnvoll hintergründig wirkenden Videoarbeiten von Bibi Abel vertieften diese Bilderwelten. Wesentlicher Träger aber ist die sinfonisch markant gestaltende Staatskapelle. In den Verfolgungsszenen, aber auch bei den vielfarbigen Unterstreichungen der lyrischen Szenen, die jenes Licht der Menschlichkeit wirken ließen, das dunkle Zeiten aufhellte, entwickelt sie dramatische Schlagkraft. So wurde die humanitäre Grundthematik von Schuld und Sühne erlebbar. Parallel zu den 8. Internationalen Schostakowitschtagen Gohrisch, bei denen neben dem Namensgeber auch Werke seiner Zeitgenossen wie eben Weinberg und auch Sofia Gubaidulina erklangen, war diese Oper ein finaler Höhepunkt der Opernsaison.