Die trauen sich was! So begründet die »Opernwelt« in ihrem jüngsten Jahrbuch die Wahl der Oper Lyon als „Opernhaus des Jahres“. Intendant Serge Dorny leiste sich einen ideenreichen Zugriff auf das Musiktheater jedweder Färbung und zeitlicher Herkunft und hole damit ein höchst interessiertes Publikum in sein Haus. Selbst das ist ja – seit Mitte der 1980er Jahre Architekt Jean Novel mit dem Um- bzw. Anbau eines schwarzen Kastens ans historische Opernhaus beauftragt worden ist – ein Lockvogel bis heute. Was hier stattfindet, ist spektakulär, angefangen vom Zugriff auf sehr heutiges Repertoire bis hin zur Öffnung für ein junges Publikum. Das ist lebendiges Musiktheater: vitale Oper, die nicht vorgesetzt wird, sondern in ihren Bann zieht.
Beim Namen Serge Dorny klingelt es freilich noch immer in zahlreichen sächsischen Ohren. Gut möglich, dass heute zwischen so manchen Hörorganen darüber nachgedacht hat, ob sich Dresden nicht doch etwas verschenkt hat? Wobei es gewiss weniger um den Titel „Opernhaus des Jahres“ gehen dürfte als um eine Öffnung bewährter Traditionen hin zu neuen, überraschenden, ja überzeugenden Ufern.
Traditionsbewusst ist auch der Dresdner Dirigent Hartmut Haenchen, der von den meisten der rund fünfzig Musikkritikerinnen und Musikkritikern diesmal als „Dirigent des Jahres“ gewählt worden ist. Er erhielt dieses Lob – und schon hier schließt sich ein kleiner Kreis – vor allem für seine als atemraubend beschriebenen »Elektra«- und »Tristan«-Exegesen beim Festival Memoires an der Oper, siehe oben, Lyon. Dort hatte man den einstigen Kruzianer damit betreut, als historisch geltende Inszenierungen von Ruth Berghaus und Heiner Müller musikalisch zu leiten. Ferner wurde Haenchen ein „vital-elektrisierendes“ Dirigat von Mozarts »Così fan tutte« in Genf attestiert. Großes Aufsehen vermochte er freilich mit seinem 2016 relativ kurzfristig quellenkritisch einstudierten Bayreuther »Parsifal« zu erringen, den er im Sommer 2017 mit dem Werkstattcharakter entsprechender Vorbereitungszeit erneut übernahm.
Nicht zuletzt hat auch die „Sängerin des Jahres“ wiederholt mit Dresden zu tun: Anja Harteros erhielt diesen Titel bereits zum zweiten Mal, aktuell für ihre Interpretationen der Maddalena in Giordanos »Andrea Chénier« und der Elisabeth in Wagners »Tannhäuser« (beides Staatsoper München) sowie der Sieglinde in der Salzburger »Walküre«. „Faszinierende Charakterporträts“ werden der Sopranistin von der Opernwelt-Kritikerriege hierfür attestiert. Wir freuen uns darauf, sie wiederzuhören!