Als Gustav Mahler nach seiner gigantischen »Achten« 1907 über eine neues sinfonisches Werk nachdachte, ereilten ihn drei prägende Schicksalsschläge. Seine Tochter Maria starb, sein Arzt stellte ein schweres Herzleiden fest und antisemitische Hetzer erzwangen, dass er nach zehn Jahren erfolgreicher, international ausstrahlender Tätigkeit sein Amt als Direktor der Hofoper niederlegen musste. Der scharfe Bruch im Leben führte auch zu einer neuen Stufe der kompositorischen Entwicklung. Das erste Werk, in dem sich die veränderte künstlerische Aussage äußerte, war das als neunte Sinfonie konzipierte »Lied von der Erde« für Tenor-, Mezzosopran-Stimme und riesiges Orchester. Aus Scheu vor der Zahl neun (Beethoven, Schubert und Bruckner gedenkend) bezeichnete er das Werk als ‚Lied in sechs Gesängen‘.
Im 2. Symphoniekonzert der Staatskapelle unter dem einfühlsamen Dirigat von Ronald Runnicles erklang dieses »Lied von der Erde« mit der von Mahler vordergründig geführten Resignation, Einsamkeit und unerfüllter Lebenssehnsucht, die aus dem Wissen um den Tod erwuchs. Das fand hier nun in lebendiger, wenn auch beklemmender Weise überzeugend Ausdruck. Mit einem „Trinklied vom Jammer der Erde“ beginnt die Komposition. Der Tenor (von Michael Schade forciert akzentuiert) versucht, Trinklaune zu entfalten, aber jede der drei Strophen endet mit den Worten: “Dunkel ist das Leben, ist der Tod“. Trotz weiterer tenoraler Scherzi („Von der Jugend“ und „Der Trunkene im Frühling“) bestimmt denn doch dazwischen dunkel düstere Stimmung des Mezzosoprans (von Karen Cargill bei berückender Ausdruckskraft mit schöner Stimme) bei aller pastoralen Bildhaftigkeit der „Einsamen im Herbst“ und „Von der Schönheit“ die klangliche Atmosphäre. Die vorzüglich mitgestaltende, oft kammermusikhaft ausstrahlende, zuweilen auch etwas markant die Gesangsstimmen überlagernde Staatskapelle trug diese Grundstimmung überzeugend. Zum Höhepunkt entfaltete sich das Finale „Der Abschied“ nach den Gedichten „In Erwartung des Freundes“ und „Der Abschied des Freundes“, die wie alle sechs Texte nach einem chinesischen Vorbild von Hans Bethge übersetzt und bearbeitet wurden. Tief bewegend, an Adagiosätze wie am Ende der dritten Sinfonie erinnernd, gestaltete die Sängerin diesen Abschied: „Wohin ich geh? Ich wandre in die Berge. Ich suche Ruh für mein einsam Herz“. Und dennoch bleibt der Blick auf den blühenden Lenz, der ewig, ewig bleiben wird. Mit diesen Worten verklingt das Werk, nachdenklich und erinnernd an einen großen Künstler und sein Schicksal, das hier auf eine bewegende Weise sich verallgemeinert.
Am Anfang des Abends stand eine ganz anders geartete Komposition: »Tabula rasa« von Arvo Pärt für zwei Violinen, Streicher und ein präpariertes Klavier. Der estnische Komponist des Jahrgangs 1935 ist in der laufenden Spielzeit „Capell-Compositeur“ der Staatskapelle und bekannt für seine eigenwillige Auslegung von Komposition. Ursprünglich ein Meister durchkomponierter Sätze (Collage über das Thema B-A-C-H von 1969) hat er sich nach kritischer Sichtung ab 1976 für eine einfache, fast simple Tonsprache entschieden. Eines der ersten Werke war 1977 »Tabula rasa« als Neuanfang. Die beiden stellvertretenden Konzertmeister der Ersten Violinen, Thomas Meining und Jörg Faßmann, suchten nach einer stimmigen Gestaltungsart und den Wohlklang des schönen Streicherklangs der Kapelle solistisch zu überhöhen. Das ist im 1. Satz „Ludus“ des zweisätzigen Werkes auch spielerisch mit Klangfolgen a la Vivaldi überzeugend gelungen. Der 2.Satz „Silentium“ verlor sich aber in tödlicher Ruhe. Es ist überliefert, dass Psychologen den Satz heilend verwenden, da er in etwa zehn Minuten immer die gleichen Figuren zelebriert. Ob diese diese simple Primitivität aber auch auf Musiker beruhigend wirkt? Das Publikum dankte jedenfalls mit anhaltendem Applaus, der sich dann später bei Mahlers »Lied von der Erde« begeistert steigerte.