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Weit mehr als nur Talentproben

Wer bin ich, was kann ich, wie teile ich es mit anderen – so ungefähr ließe sich beschreiben, was die drei Choreografien von Caroline Beach, Guillaume Pires Parada und Lotte Müller für Studierende der Dresdner Palucca Hochschule für Tanz in der nunmehr schon 15. Folge des Palucca Tanzstudios auf jeweils sehr eigene Weise kreiert haben. Sie sind Studierende des von Katharina Christl neu konzipierten und geleiteten Masterstudiengangs »Choreografie« der Dresdner Hochschule für Tanz. Im Sommer nächsten Jahres schließen sie ihre Ausbildungen ab. Dazu gehört auch Charles A Washington, dessen Choreografie »Constructing latency is deconstructing«, die er – so die Ankündigung – als eine „Inter- und Intrakommunikation des Körpers“ für Lilia Ossiek und Julia-Marie Wolobuew entwickelt hat, wegen einer Erkrankung am zweiten Aufführungsabend leider nicht gezeigt werden konnte. So begann die Vorstellung im gut besuchten Grünen Saal der Hochschule mit »Silbern glänzende Oberflächen« von Caroline Beach für fünf Studentinnen des zweiten und dritten Jahres im Bachelor Studiengang Tanz.

»COCOTTE MINUTE« –
Choreografie von Guillaume Pires Parada (Foto: Ida Zenna)

Stühle als Möbel, als Gegenstände, mitunter sogar als eine Art Partner, bestimmen das kurze Geschehen. Immerhin kann es vorkommen, dass sogar sechs Stühle für fünf Tänzerinnen nicht ausreichen. Dass im sprichwörtlichen Sinne der Stuhl unterm Hintern weggezogen wird, dass man, also hier natürlich Frau, gewissermaßen in der Luft sitzt oder es einfach zu eng wird, wenn sich vier junge Frauen drei Stühle teilen müssen und eine fünfte lieber gleich den Platz darunter einnimmt. Gute Möglichkeiten, Konkurrenzen tänzerisch zu gestalten wie aber auch wechselnde Sympathien. Manchmal helfen humoristische kurze Szenen schnatternder Einwürfe mit minimalistischen Elementen heiterer Körpersprache im schnellen Wechsel zu körperintensiver, weiträumiger Erkundung des großen leeren Raumes oder auch einfach mal sich wegzurollen: ab durch die Gasse. Dafür erhalten Ji-Min Anh, Chayeon Lee, Alba Maria Thomas Alvarez, Celina Bardet und Lea Schäfer zur Eröffnung dieses Abends viel zustimmenden Applaus.

Unter Druck wie in einem Schnellkochtopf geraten darauf Sophie Hauenherm, Hannah Law, Lina Meißner, Paula Tarragüel Aguilar, Mario Araujo und Julian Greene in der Choreografie »Cocotte Minute«. Ein nervige Alarmsignal, Körperkontrollen, Unruhe, Verunsicherung und zunächst die Frage, ob es sich hier um ein Spiel oder wirklich um den alptraumartigen Druck einer Erinnerung handelt. In spannungsgeladenen Konstellationen der Gruppe, in immer wieder anders geführten Wechseln der Beziehungen Einzelner zu den Anderen, baut sich eine von beindruckender Energie der Bewegung getragene Dynamik auf, die sich zum donnernden Beat entwickelt und höchst bedenkliche Assoziationen provoziert, wenn „Verlierer“ einfach weggelegt, also entsorgt werden, bevor dieses bedrohliche Szenario mit verzweifelten Versuchen der Tänzerinnen und Tänzer, doch noch in aneinander klammernden Bildern so etwas wie einen überlebensfähigen Zusammenhalt zu finden, zu Ende geht. Großes Erstaunen – dann starke Zustimmung des Publikums ob dieser dermaßen existenziell grundierten Tanzbilder, denen sich die jungen Künstler bedingungslos stellen.

Um ein Klammern ganz anderer Art geht es im Duo für Paula Fiener und Leon Damm in »You like you become« von Lotte Müller. Was mit einem Bild sensibler Zuneigungsnähe eines jungen Paares beginnt, erweist sich bald als schmerzendes Trugbild, wenn die scheinbar offensichtliche Nähe der beiden sich als ein Abbild verborgener Ferne erweist. Wenn der Tänzer die Partnerin nicht nur umklammert, sondern sich als so gewaltsamer wie rücksichtsloser Bezwinger erweist. Wenn in genauer Beobachtung solcher Erfahrungen die Partnerin in vermittelnder Verzweiflung in Momenten hoffnungsloser Zuneigung immer stärker unter Druck gerät. Da findet die Choreografin beeindruckende Bilder für dieses starke Duo, dem es immer wieder gelingt wie ein Aufflackern berührende, tänzerische Zeichen aussichtsloser Einsamkeit zu setzen in dieser Abfolge von Momenten der Nähe und der Ferne, der Zärtlichkeit und der Brutalität mit der am Ende offenen Frage, ob es den trennenden Ausweg in die Freiheit der Einsamkeit geben kann. Wie ein Beobachter dieses Geschehens mit seinen klanglichen Reaktionen und Assoziationen, in entsprechender Entfernung, im Dialog mit zugespielten Klängen, der Kontrabassist Sebastian Rehnert. Ein bezwingendes Kammerspiel in besten Traditionen zeitgenössischen Tanztheaters. Die konzentrierte Situation im Saal spricht für die Kraft dieser kurzen Arbeit.

Mehr als eine Talentprobe bietet auch Ben Beppler vom ersten Jahr des Bachelor Studienganges Tanz mit Holger Beys »Hexentanz« nach Motiven von Mary Wigman in der Einstudierung von Ingrid Borchardt. Immerhin ist es von besonderer Art, diesen angeblichen Klassiker der Moderne mal von einem jungen Tänzer zu erleben. Das ist verständlich auf dem Hintergrund, dass die Beschäftigung mit Traditionen für die Ausbildung unverzichtbar ist und ein Rahmen wie das Tanzstudios ist zweifellos angemessen. Auch wenn der junge Tänzer sich mit voller Intensität höchst anerkennenswert auf Wigmans platschende Fußtritte einlässt, den Versuch unternimmt in Momente der Ekstase zu geraten, die Dämonie dieses Hexentanzes kann sich nicht einstellen, was weder am Tänzer und sicher schon gar nicht an der intensiven Arbeit von Ingrid Borchardt liegen kann. So ist es ein wunderbarer Moment, wenn zum Applaus der Tänzer endlich die Maske abnimmt und Gesicht zeigen kann und sich somit seinen Kommilitoninnen und Kommilitonen zuordnen lässt, denen es in den vorangegangenen Kreationen eben vor allem darauf ankam, Gesicht zu zeigen, authentisch zu sein.

Ihsan Rustems »Cupid´s Gun« gehört zum Repertoire der Hochschule, immer wieder in neuen Besetzungen neu einstudiert von Marc Boermans, und gern gesehen und bestens geeignet diesen Abend abzuschließen. Diese Pfeile treffen zielgenau, es geht in die Höhe ohne die Bodenhaftung zu verlieren in der opulenten Besetzung mit zwölf Tänzerinnen und Tänzern. Die Arbeiten der angehenden Choreografinnen und Choreografen bleiben allerdings doch in stärkerer und vor allem assoziationsreicherer Erinnerung.