Der nächste Abschnitt betrifft die Musik: Haben Sie in den vergangenen Tagen mal unter einem Baum gesungen? Das muss nicht mal ein gefälltes Nadelgehölz sein, nein, es geht auch unter lebenden Bäumen. Genießen Sie deren Duft, der im günstigsten Fall auch noch übers Jahr, ja sogar über Jahre anhalten wird. Was sind dagegen die zu Zigtausenden gemeuchelten Weihnachtsbäume? Die werden in wenigen Tagen geschreddert. Was für ein Armutszeugnis der reichen Welt des allseligmachenden Konsums …
Die aber giert seit gestern – nach zwei Tagen postweihnachtlichen Umtauschwahns – auf frei verkäufliche Böller und lässt so mal wieder außer Acht, wie viel lebenswichtiges für all dies Geld hungernden Mitmenschen gespendet werden könnte. Vom gespenstischen Feinstaub zu schweigen, der in der letzten Nacht des Jahres in die Luft und Atemwege geschossen wird.
Noch ein Abschnitt zur Musik: Warum ihr nicht den Vortritt lassen – prima la musica! – und das Jahr ganz musikalisch eröffnen? Eine Zukunft ohne Knaller, das wäre die pure Idylle. Leipzig macht’s vor, allerdings vollkommen falsch: Auf dem Hauptbahnhof, der bekanntlich zum Supermarkt mit Gleisanschluss umfunktioniert worden ist, werden die Reisenden in der Ost- wie in der Westhalle – wenigstens insofern ist die Einheit doch vollzogen – mit Fahrstuhlklängen behelligt. Seit einiger Zeit tönt es auch an den Bahnhofseingängen, dort aber ganz klassisch. Wer nun freilich denkt, dies sei ein Willkommensgruß der Musikstadt, die auf Bach, Mendelssohn, Wagner und Masur einstimmen will, irrt leider gewaltig. Die Bahnhofsmusik soll Menschen verscheuchen. Menschen, die ohne Obdach und Einkommen sind. Sie passen nicht ins heile Bild. Köln hat ihresgleichen mit Wasserwerfern aus der Museumsmeile getilgt. Wasserwerfer, die als Straßenreinigung drapiert worden sind. Wer mehrfach aufgeweicht seinen nassen Schlafsack eingerollt hat, wird sich schon aus dem Staub machen, dem feuchten. Die steuerteure Rechnung ging auf, am Rhein herrscht wieder Hochglanz. In Leipzig haben sich die jungen Leute mit ihren Hunden an »Für Elise« anscheinend gewöhnt.
Wie aber wäre es, in einer Gesellschaft zu leben, die sich ihre Sinne und ihr gemeinschaftliches Verständnis mit musikalischen Mitteln weitet? Ein Chor des Mit- und Füreinander? Horchen wir doch mal tief in uns hinein, da brauchen wir kein Geböller und kein Geknalle. Wie viel ergreifender, hin- und mitreißender ist doch die Harmonie?
Ein neues Jahr ist ein neues Beginnen. Der Anfang von Zukunft. Lassen wir sie uns nicht zerstören, denn Advent heißt bekanntlich nichts anderes als Ankunft. Ohne jeden religiösen Kitsch: Der nächste Advent hat längst begonnen.