Die Welt schaut auf Dresden. Auf diese Stadt, die bekanntlich stets mit sich selbst ringt. Aber diesmal stehen weder diverse Rangeleien im Blickpunkt, interne Ringkämpfe schon gar nicht, noch gerät das Elbtal wegen olympischer Ringe in die Schlagzeilen. Nein, nicht die den Standortvorteil des Elbtals als Skigegend bewerbende Marktschreierei sorgt für Aufmerksamkeit (so ähnlich wurde Dresden von der weitsichtigen Stadtpolitik ja schon mal zur Schach-Hauptstadt erkoren, nun braucht’s halt zig Tonnen Kunstschnee), sondern zwei klingende »Ringe« tun dies.
Am 13. Januar geht’s los, dann startet der erste Zyklus von Richard Wagners »Der Ring des Nibelungen«. Gleich zweimal wird Chefdirigent Christian Thielemann die komplette Tetralogie in der zwischen 2001 und 2003 entstandenen Inszenierung von Willy Decker aufführen – jedesmal in einer Starbesetzung! Wenn all diese Namen – Wagner, Staatskapelle, Thielemann und dazu eben Petra Lang, Christa Mayer, Albert Dohmen, Vitalij Kowaljow, Stephen Milling, Peter Seiffert, Kurt Streit und Georg Zeppenfeld nebst vielen anderen – zusammenkommen, horcht die Wagner-Welt natürlich auf. Und strömt gen Dresden. Schon jetzt sind kaum mehr Karten für die beiden Zyklen zu bekommen.
Erstmals wird es ausgedehnte Einführungen zu jeder Vorstellung geben, bei denen Pianist Stefan Mickisch in der Dreikönigskirche in die Geld-, Gier- und Götterhandlung vorstellen will. Christian Thielemann hat bereits vorab bekannt, wie sehr Wagners »Ring« bleibend aktuell ist: Es gehe darin schließlich um das menschliche Leben im weitesten Sinne. Um Fragen, was das Geld und die Gier danach bewirken. Nicht zufällig sei auch doppeldeutig von einem Ring die Rede, denn an dessen Ende stehe alles wieder auf Anfang, so Thielemann. Solange es Menschen gibt, werde es auch dieses Spannungsgefüge geben, ist er überzeugt.
Fünf Jahre nach dem 200. Geburtstag des aus Leipzig stammenden Dichter-Komponisten Richard Wagner, der in Dresden Hofkapellmeister gewesen ist und somit als einer der Vorgänger von Christian Thielemann gilt, widmen sich auch die anderen beiden großen Opernbühnen Sachsens dessen »Ring«. Bereits an diesem und am kommenden Wochenende präsentiert die Oper Leipzig den »Ring des Nibelungen« in der bildreichen Inszenierung von Rosamund Gilmore. Am Pult des Gewandhausorchesters steht Generalmusikdirektor und Intendant Ulf Schirmer, der mit Daniela Köhler und Christiane Libor sowie mit Thomas Mohr und Stefan Vinke ebenfalls namhafte Gäste verpflichten konnte. Einen zweiten Zyklus bringt die Oper Leipzig Mitte April. Damit wird die Nibelungen-Tetralogie zum ersten Mal seit mehr als vier Jahrzehnten wieder komplett in der Wagner-Stadt szenisch aufgeführt.
Nicht ganz so lange währte die Abstinenz in Chemnitz, wo Anfang Februar ein besonderes Ring-Projekt startet. Anlässlich des 875. Stadtjubiläums soll in der Stadt, die sich so gern als „Sächsisches Bayreuth“ bezeichnen lässt, »Das Rheingold« Premiere haben. Dies ist zugleich Auftakt für eine Wagner-Betrachtung aus weiblicher betont Sicht. Bis Ende 2018 sollen alle vier Teile von jeweils einer Regisseurin inszeniert werden: »Das Rheingold« (3. Februar) von Verena »Die Walküre« (24. März) von Monique Wagemakers, »Siegfried« (29. September) von Sabine Hartmannshenn und »Götterdämmerung« (1. Dezember) von Elisabeth Stöppler. Die musikalische Leitung hat der neue Chemnitzer Generalmusikdirektor Guillermo García Calvo, ein aus Spanien stammender Wagner-Aficionado, der heute noch seine frühe Zusammenarbeit mit Christian Thielemann an der Wiener Staatsoper schätzt.
Damit schließt sich ein Ring? Noch nicht ganz. Wagner ist bekanntlich weit mehr als Wotan, Weltesche und Walhall. »Tannhäuser« zum Beispiel. Den sollte des Komponisten Urenkelin Katharina Wagner in Leipzig neu inszenieren, hat dies aber vor knapp vier Wochen „aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten“ absagen lassen. Sie soll nun im Herbst 2020 den »Lohengrin« ihres Ahnen in Leipzig herausbringen. Ob dies wohl die statuarische Fassung ihres Vaters Wolfgang Wagner sein wird, die sie im vergangenen Sommer in Prag herausgebracht hat? Kaum denkbar, denn Leipzigs Bühnentechnik funktioniert schließlich ganz prächtig. Doch auch für den beinahe geplatzten »Tannhäuser« gibt es eine Lösung, sogar der geplante Premierentermin wird gehalten: Calixto Bieito wird seine bereits in Gent, Antwerpen, Venedig und Bern gezeigte Inszenierung zur Deutschland-Premiere nach Leipzig bringen (17. März) – ein Wandel des Hauses wieder hin zu spannenderem Regietheater? Immerhin schwingt ein wenig Angst vor der eigenen Courage mit, wenn die Oper sehr deutlich auf die Möglichkeit von Kartentausch hinweist.
Keine Frage: Die Wagner-Welt schaut in den kommenden Monaten ganz sicher auf Sachsen.