»Ein Sommernachtstraum« als Titel für den neuen Dresdner Ballettabend ist ein wenig irreführend. Es wird natürlich mal wieder traumhaft gut getanzt – aber um Shakespeares Komödie, die für Alfred Kerr voller ewiger Melodie ist und die Erde tanzen macht, geht es nicht mal so ganz in der Dresdner Erstaufführung der Choreografie »The Dream« von Frederick Ashton aus dem Jahre 1964.
In einer von David Lunchbery vornehmlich nach Vorgaben des Librettos zusammengestellten und arrangierten Abfolge der Schauspielmusik von Felix Mendelssohn Bartholdy zu Shakespeares Komödie für Frederick Ashtons »The Dream« geht es ja auch nicht um den ganzen »Sommernachtstraum«. Knapp eine Stunde währt Ashtons Traum mit seinen Irrungen und Wirrungen, ausgelöst durch den Streit des Elfenkönigs Oberon mit seiner Gattin Titania um einen indischen Knaben, den beide für sich beanspruchen. Um sich die aufmüpfige Gattin wieder gefügig zu machen, ersinnt Oberon einen gemeinen Plan. Kraft des Zaubertrankes seines Gehilfen Puck, diesem faunisch-satanischen Droll, versetzt er die Gattin in einen Schlaf; und beim Erwachen wird sie sich in das erste Wesen verlieben, das sie erblickt. Das ist der in einen Esel verwandelte Handwerker Bottom. Brummbär, Kater, Luchs, Eber oder Fuchs hätten es in Oberons anspielungsreichen Fantasien auch sein können. Der Esel, bei Shakespeare, demonstriert nun alles andere als Dummheit – sondern das Höchstmaß an Potenz. Dass Puck den Zaubertrank dann übermütig weiter verteilt und auch den in den Wald bei Athen geflohenen Paaren die Fantasien ihrer Sommernachtsträume erfüllt, welche bei Ashton auch nicht wie bei Shakespeare in die dunklen Zonen der Erotik vordringen. Sein Ballett nimmt im tänzerischen Dialog mit der sanften Musik Mendelssohn Bartholdys eher die lichten Seiten der Romantik des 19. Jahrhunderts auf im nächtlichen Zauberwald, dem Reich der Elfen, in deren solistischem Quartett zwar gemäß der Vorlage Bohnenblüte, Spinnweb, Motte und Senfsamen tanzen, aber eben nicht so, wie diese Namen vermuten lassen könnten. Sie tanzen stattdessen elegant, mit diesen wunderbaren kleinen Sprüngen auf der Spitze, in jener elfenhaften Leichtigkeit wie sie nur das Ballett in den Traditionen eines Marius Petipa möglich macht, denen ja Frederick Ashton sichtlich verbunden ist und sie mit dem besonderen Charme britischer Leichtigkeit, die nun alles andere als leicht zu tanzen ist, verbindet. Es ist eine Kunst, diese hohen, technischen Ansprüche so zu beherrschen; aber das darf nie zu einer Demonstration des Könnens führen, sondern zu jener dem Tanz eigenen Leichtigkeit fließender Bewegungen, die vergessen lassen, welch harter Weg bis dahin nötig war.
In Dresden bekommt nun Ashtons spezieller britischer Stil noch eine besondere Note in der Verbindung seiner Art der Wiederentdeckung des klassischen Tanzes mit den Erfahrungen des hier stark von William Forsythe geprägten Stils des zeitgenössischen Balletts. Das macht die Gestaltung der Hauptpartien mit Anna Merkulova als Titania und Denis Veginiy als Oberon bemerkenswert, vor allem, wenn im abschließenden Pas de deux die Widersprüchlichkeit dieser Beziehung zweier starker Persönlichkeiten von tänzerischen Momenten rasanter Richtungswechsel übergeht in die berührenden Momente der Wiederentdeckung zarter Zuneigung. James Potter hat offensichtlich großen Spaß daran, die teuflischen Harlekinaden des Puck mit Ashtons irrwitzigen Sprungvarianten zu tanzen, ebenso wie Alejandro Martinez zur Freude des Publikums als Esel zeigen kann, welch tierische Freude dem eigentlich störrischen Wesen der Spitzentanz bereiten kann. Vorzüglich besetzt die irrenden Paare, Aidan Gibson und Svetlana Gileva als Helena und Hermia, Casey Ouzounis und Christian Bauch als Lysander. Die Staatskapelle mit den Frauenstimmen des Sinfoniechores des Extrachores, den Solistinnen Ute Selbig und Roxana Incontrera, entfalten unter der Leitung von Benjamin Pope ein Höchstmaß an romantischem Klangzauber. So fügen sich in immer wieder traumhafter Weise beglückende Bilder aus Klang und Bewegung.
Vergangenheit und Gegenwart verbinden sich
Und dann, im zweiten Teil des Abends, zu Antonio Vivaldis Zyklus »Le quattro stagioni« von 1723, jetzt Max Richter recomposed Vivaldi »The Four Seasons«, von 2012, sphärisch, mitunter minimalistisch anmutend, mit elektronischer, effektvoller Soundästhetik, mit dem Solopart der Violine, gespielt von Daniel Hope, die Uraufführung von David Dawson, »The Four Seasons«, auf der Bühne von Enno Henze, im Licht von Bert Dalhuysen. Klar dass da auf der Bühne weder Blumen sprießen, noch die Sonne brennt, Herbstwinde wehen oder Schnee fällt, auch wenn die klingenden Assoziationen Bilder solcher Art des Werdens und Vergehens in der Abfolge der Jahreszeiten durchaus zulassen. David Dawsons Kreationen, die auch angeregt sind von Texten der amerikanischen Lyrikerin Nayyirad Waheed, die sie vornehmlich in sozialen Netzwerken veröffentlicht, widmet sich dennoch dieser Faszination ewiger Kreisläufe der Natur in den Korrespondenzen menschlichen Lebens.
In Dawsons 13 Teilen seiner choreografischen Kreisläufe, die im Tanz weniger symmetrisch sind als in den darüber sich herabsenkenden Plastiken des Bühnenbildners, das Dreieck für den Frühling, das Quadrat für den Sommer, die Linie für den Herbst und anschließend der Kreis für den Winter, können Wiederholungen und draus folgende Variationen nicht ausbleiben. Immer wieder Ende und Anfang, Anfang und Ende, wie in einem der Gedichte von Nayyirad Waheed, in dem sie davon schreibt, dass sie nicht auf das Ende der Welt achte, denn es habe viele Male für sie geendet, um Raum zu schaffen für den täglichen Neubeginn an jedem Morgen. Tänzerisch, in unterschiedlichen Gruppen, mit Duos und sogar mit rituell anmutenden Bildfantasien, etwa einer diagonalen Reihe der Tänzerinnen mit einander ablösenden, geheimnisvollen Zeichen der Hände.
Wenn Dawson dann immer wieder in fließenden Linien die Arme der Tänzerinnen und Tänzer weit in die Höhe führt und mit seinen typischen Bewegungen die Hände leicht nach unten bewegt, ist allerdings auffällig, dass dabei aber nicht mehr die so entstandenen Linien gänzlich gebrochen werden. David Dawson, der sich klassischen Techniken ganz und gar nicht verweigert und immer wieder auch den Tanz auf der Spitze zeitgenössisch zu prägen versteht, überrascht hier mit einem so bislang nicht wahrzunehmenden Maß zärtlicher Eleganz. Bei den Dresdner Tänzerinnen und Tänzern, denen der Stil William Forsythes bestens vertraut ist, kann er darauf aufbauend für sein Verständnis vom Ballett neue Formen finden und sogar, sofern man bereit ist, manche Abläufe der Bewegungen assoziativ wahrzunehmen, narrative Elemente einfügen.
Und so schließt sich am Ende doch ein Kreislauf in der Kunst des Tanzes, was so nicht zu ahnen war, als zu Beginn in üppiger Kulissenwelt des nächtlichen Waldes die romantische Rückbesinnung herauf beschworen wurde, wenn jetzt unter mathematischer Strenge symmetrischer Zeichen sich im Kreislauf des Tanzes sich doch Vergangenes und Gegenwart verbinden.
Wieder am 14., 17., 19. März 2018; die Vorstellungen sind ausverkauft, Restkarten an der Abendkasse