Website-Icon Musik in Dresden

Klare Gestaltung und herausragende Expressivität

Es sei ein »Gipfeltreffen der Tanzmoderne«, schrieb Volkmar Draeger nach der Premiere in der Berliner Akademie der Künste. Jetzt gibt es dieses Gipfeltreffen erstmals in Dresden. Das hat besonderen Sinn, denn beide Choreografinnen, die man ganz sicher zu den Ikonen der Tanzmoderne zählen muss, kommen aus Dresden. Marianne Vogelsang wurde 1912 hier geboren und absolvierte ihre Ausbildung bei Gret Palucca. Und Dore Hoyer, 1911 hier geboren, begann auch mit der Ausbildung bei Palucca, beendete diese aber schon nach kurzer Zeit wieder, um fortan als strenge Autodidaktin ihren eigenständigen Weg zu gehen. In ihren künstlerischen Entwicklungen, Ansprüchen und vor allem in ihren choreografischen Arbeiten könnten beide kaum unterschiedlicher sein. Aber sie kannten sich und schätzten sich. Es ist nicht bekannt, dass bislang ihre wichtigsten Kreationen an einem Abend zusammen aufgeführt wurden.

Marianne Vogelsang, »Bach-Präludien«, Tänzer: Nils Freyer (Foto: Yan Revazov)

Das ist nun in Dresden zu erleben, wenn der Berliner Tänzer Nils Freyer, Absolvent der Staatlichen Ballettschule, die »Bach-Präludien« von Marianne Vogelsang und den Zyklus »Afectos humanos« von Dore Hoyer tanzt. Die Pianistin Ulrike Buschendorf spielt die Präludien aus Bachs Zyklus »Das Wohltemperierte Klavier« und gemeinsam mit dem Schlagzeuger Marco Philipp die Originalkompositionen zu Dore Hoyers »Afectos humanos« von Dimitri Wiatowitsch.

Angeregt durch Spinozas »Affektenlehre«

Zentrales Thema des Tanz-Zyklus sind die menschlichen Leidenschaften. Angeregt dazu wurde Dore Hoyer durch den jüdischen Philosophen Baruch Spinoza. Seine »Affektenlehre« lernte sie bei einem Aufenthalt in La Plata kennen. Den Zyklus mit den Tänzen »Eitelkeit«, »Begierde«, »Hass«, »Angst« und »Liebe« choreografierte sie 1962 in Essen. Ihr Pianist, Dimitri Wiatowitsch, arbeitete dort an der Folkwang-Schule. Es war ihre letzte große Arbeit, die sie 1962 als eigene Interpretin zur Uraufführung brachte.

Auch die »Bach-Präludien«, die Marianne Vogelsang ihrem Schüler, dem Dresdner Tänzer und Choreografen Manfred Schnelle, übereignete, bilden den Abschluss ihrer choreografischen Arbeiten. Kurz vor seinem Tod 2017 in Dresden hatte Manfred Schnelle diese Choreografien mit dem Tänzer Nils Freyer einstudiert. Die Premiere fand im gleichen Jahr im Rahmen des Dresdner Bachfestes statt. Für die Einstudierung des Zyklus von Dore Hoyer konnte nach der Übertragung anhand des historischen Filmmaterials durch die Tanzpädagogin Heike Keller von der Staatlichen Ballettschule Berlin keine Geringere als Susanne Linke gewonnen werden. Sie gehört zu den derzeit wichtigsten Vertreterinnen des deutschen Tanztheaters, ist international anerkannt als Tänzerin und Choreografin. In Dresden gastierte sie mit ihrem Soloabend »Im Bade wannen« im Schauspielhaus; ihr legendäres Tanztheaterstück »Ruhr-Ort«  war in Hellerau zu sehen. Und hier hat sie auch zuletzt mit der Dresdner Tänzerin Katja Erfurth gearbeitet.

Arbeitsprobe der Handhaltung aus »Eitelkeit« in der Staatlichen Ballettschule Berlin (Foto: Frank Heckel)

Nach der Besonderheit dieser Tänze von Dore Hoyer, mit denen sie sich mehrfach intensiv beschäftigt hat befragt, verweist Susanne Linke zunächst auf den Tanzhistoriker Norbert Servos, der 2005 unter dem Titel, »Schritte verfolgen – Die Tänzerin und Choreographin Susanne Linke«, ein Buch über sie veröffentlicht hatte und zitiert Servos:

„Der Mensch steht im Zentrum und ist – mit Labans bahnbrechenden Prinzip von An- und Abspannung aus der Körpermitte – sein eigener Herr. Er bewegt sich aus der eigenen Mitte, souverän. Mary Wigman verkörpert in ihren Tänzen die gedanklichen Freiräume, die Laban erschließt. Sie ist die Seele des neuen Tanzes: individuell, aus der eigenen Erfahrung schöpfend.“

Bezogen auf Dore Hoyer, fährt Susanne Linke fort: „Genau das hat Dore Hoyer auch gemacht. Das hat sie in diesem Zyklus glänzend vollbracht und für jeden einzelnen Affekt ein ganz spezifisches Bewegungsmaterial kreiert. Wenn man bedenkt, dass diese Tänze ja nun vor über fünfzig Jahren entstanden sind und immer noch so aktuell zu sein scheinen und von jüngeren Generationen immer noch verstanden werden können, das ist als ein großes Glück zu verstehen. Ich bin froh, dass diese Arbeit von Dore Hoyer als einzige ihrer vielen so wunderschönen und ausdrucksstarken Soli erhalten bleiben konnte, durch eine professionelle Filmaufzeichnung.“

Dore Hoyer, »Liebe« aus »Afectos humanos«, Tänzer: Nils Freyer (Foto: Yan Revazov)

Befragt nach ihrer Zusammenarbeit mit dem in Berlin klassisch ausgebildeten Tänzer Nils Freyer, sagt Susanne Linke: „Meine Begegnung mit Nils Freyer, wo ich anfangs ja große Bedenken hatte, hat sich letztendlich als eine angenehme Überraschung ergeben. Prof. Dr. Ralf Stabel, Direktor der Staatlichen Ballettschule Berlin, hat seinen Absolventen zu Premiere von »Hommage à Dore Hoyer« nach Trier geschickt, um mich quasi kennenzulernen. Ich habe daraufhin diesen „Jüngling“, wie ich es zu dem Zeitpunkt empfand, erstmal harsch abblitzen lassen. Aber nachdem er bereits mit der Pädagogin Heike Keller sämtliche Bewegungen der fünf Affekte vom Video einstudiert hatte, lud er mich zu einer Probe in die Schule ein und überraschte mich, wie weit der Probestand bereits gewesen ist. Er benötigte meine Hilfe sozusagen, um ihm noch den sogenannten Feinschliff zu geben in punkto Atmung und Bewegung aus der Körpermitte vom Becken aus. Es war quasi mehr eine energetische Arbeit, die Form und die Standhaftigkeit der Balance hatte er bereits. Ich lehrte ihn, seine Atmung zu nutzen und bewusst einzusetzen. Aus meiner Erfahrung an der Pariser Opera wusste ich bereits, dass sich klassische Tänzerinnen und Tänzer damit öfter sehr schwertun. Aber bei sämtlichen Korrekturen, die ich Nils Freyer gab, war ich erstaunt, wie schnell er diese aufgenommen hat und umsetzen konnte.“

»Vogelsang meets Hoyer« ist ein TANZFONDS ERBE Projekt, gefördert von der Bundeskulturstiftung in Kooperation mit der Staatlichen Ballettschule Berlin, hier vor allem dank wissenschaftlicher Beratung durch den Tanzhistoriker und Rektor der Schule, Prof. Dr. Ralf Stabel. Für ihn ist im Zusammenhang mit der gemeinsamen Aufführung beider Choreografien wichtig: „Die Tänze von Marianne Vogelsang sind überaus klar in ihrer Gestaltung, aber deshalb keineswegs ohne tiefe Emotion. Die Tänze von Dore Hoyer dagegen sind von herausragender Expressivität, aber deshalb nicht ohne klare Gestaltung.“

Dem, so Susanne Linke, sei nichts hinzuzufügen.

 

»Vogelsang meets Hoyer«
27.06.2018, 19.30 Uhr
Staatsschauspiel Dresden, Kleines Haus

Um 19.00 Uhr gibt es ein Einführung mit Prof. Dr. Ralf Stabel

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die mobile Version verlassen