Im Originallibretto werden statt Mozartkugeln Kugler-Bonbons aus Budapest gereicht, mit Paprikaspeck gefüllt. Aber Regisseur Axel Köhler hat nach etwas heute Bekanntem gesucht, hat dabei die Dialoge überarbeitet, um das hundert Jahre alte Stück für heute anschaulich zu machen.
Was hat die »Csardasfürstin« an Deutungen alles aushalten müssen: 1999 an der Semperoper unter Konwitschny als Weltkriegsstück mit Schützengräben, in Münster als Lazarettstück von 1917, in Würzburg als Nachkriegsstück 1948 im zerstörten Wien und Budapest. Trägt das Libretto von Leo Stein (u.a. Libretti zu »Wiener Blut«, »Die Lustige Witwe«, »Der Graf von Luxemburg«, »Polenblut«) und Bela Jenbach (u.a. Libretti zu »Paganini«, »Der Zarewitsch«) überhaupt eine solche kriegerische Last? Als die Arbeit an diesem Werk 1914 begann, ahnten die Autoren noch nichts von den Gräueln des kommenden Weltkriegs. Aber als sie es im November 1915 in Wien auf die Bühne brachten, da hieß es: „Weißt du, wie lange noch der Globus sich dreht, ob es morgen nicht schon zu spät!“ Sie wollten die Operettenseligkeit des Vorkriegszeit in eine bedrückende Gegenwart hinüberretten, konnten aber diese Gegenwart nicht vollständig ausblenden.
In die rumänische Chansonette Sylva Varescu (sehr überzeugend Elvira Hasanagic), nach altem Sprachgebrauch eine Zigeunerin, ist ein österreichischer Adelsspross Edwin von Lippert-Weylersheim (Daniel Szeili) verliebt. Er droht deswegen von seiner standesbewussten Familie verstoßen zu werden. Die Theaterautoren haben seit jeher Standesunterschiede für Konfliktsituationen benutzt. Hier setzen Köhlers Retuschen ein, nach alter Schelmenart, die immer Sache der Operette war, auf aktuelle Gegebenheiten ironisch anzuspielen. Er hat die Dramaturgie des Ganzen aber nicht angetastet.
Wie geht man heute mit Fremden um? Ohne aktuelle hysterische Diskussionen zu bemühen, macht die Operette deutlich, wer zu wem gehört und wer nicht. Eine Wahl steht an, eine nationalbewusste Partei mit dem Fürsten zu Lippert-Weylersheim (Alois Walchshofer) tritt zur Kanzlerwahl an, verbündet sich mit den „Nachbarn in Ungarn“ und empfängt einen Gast der US-Tea-Party (Dietrich Seydlitz). Damit ist die Situation klar, in die keine Zigeunerin aus dem Varieté passt. Nach dem üblichen Auf und Ab der Intrigen klärt ausgerechnet die Fürstin (Ingeborg Schöpf) in guter Operettentradition die verfahrene Situation zum Happy End, indem auch sie eine gründliche Affäre mit dem Varieté-Besitzer Feri (Henryk Böhm) offenlegt und ihren Gatten zum Rücktritt von allen Parteiämtern veranlasst. So wird nicht nur der Weg für Sylva und Edwin frei, sondern auch für das zweite Paar Anastasia (Annika Gerhards) und Boni (Hauke Möller).
Gewiss gibt es Untiefen, wenn man die eingeblendeten originalen Texte der einzelnen Nummern verfolgt: sie sind alter Operettenbrauch und halten heutiger kritischer Sicht auf das Verhältnis von Frau und Mann gewiss nicht mehr stand. Aber sie regten Emmerich Kálmán zu einer genialen Theater-Musik an, die nicht nur einige unvergängliche Schlager enthält, sondern auch den seelischen Verletzungen nachgeht, die Sylva durch die Arroganz und Verlogenheit der feinen Gesellschaft zugefügt werden. Peter Feigelt leitete umsichtig, mit feinem Gespür und Verve das gut aufgelegte Orchester der Staatsoperette, das den ganzen Reichtum der Partitur Kálmáns zum Klingen brachte. Alexander Bersutsky (Violine) agierte als Zigeunerprimas.
Vor der Kulisse der Wiener Hofburg haben Timo Dentler und Okarina Peter ein üppiges Bühnenbild und wunderbare Kostüme geschaffen, witzig bis amüsant kitschig, wenn „tausend“ goldene Engel die Hofburg beflügeln. Ebenso fantasievoll war die Choreographie von Radek Stopka; herzlich beklatscht wurde eine Slapstick-Einlage der Herren hinter halb geschlossenem Vorhang. Vielseitig agierte der Chor und war den Solisten ein ebenbürtiger Spielpartner.
Axel Köhler hat das Ganze mit großer Spielfreude, mit Intelligenz und Humor in Szene gesetzt, so dass wieder zu erleben war, wie auch die alte Operette heute durchaus ihre Berechtigung hat.