Ganz am Beginn der neuen Konzertsaison stand der Begriff »Hoffnung«. Dass die bitter nötig ist, steht außer Frage. Wobei aktuell weder bei der Dresdner Philharmonie noch bei der Sächsischen Staatskapelle Katastrophen zu befürchten sind, doch die klingende Arbeit beider Orchester hat dieser Tage vielleicht mal wieder in besonderer Weise Hoffnungen zu vermitteln. Denn weder wollen wir den Fatalismus leben, der Erinnerungen an die Geschichte der 1920er und 1930er Jahre weckt, noch dürfen wir die sich breit machende Dummheit unserer Tage unwidersprochen hinnehmen. Dummheit ist immer brutal, wie wir wissen und neuerlich gerade mal wieder auf den Straßen bewiesen bekommen. Gibt’s eine Alternative? Aber gewiss! Doch dazu später.
Die »Hoffnung« der Philharmonie (hat sie die nötig, nach einem Jahr im neuen Saal?) klang türkisch. Und ganz gewiss hat sie die nötig, in ihrer Rolle als orchestrale Vermittlerin von Kunst und Kultur. »Umut« ist das türkische Wort für Hoffnung, der aus Ankara stammende Komponist Fazil Say hat damit seine 4. Sinfonie überschrieben, die von der Dresdner Philharmonie unter der musikalischen Leitung ihres Chefdirigenten Michael Sanderling uraufgeführt wurde. Eigentlich hätte Fazil Say, der diese Spielzeit als Composer in Residence am städtischen Orchester wirkt und hier bereits seine 2. Sinfonie namens »Mesopotamia« erklingen lassen konnte, persönlich vor Ort sein sollen und wollen. Doch ein schwerer Schicksalsschlag in seiner Familie – kaum war er in Dresden gelandet, erhielt er die Nachricht vom Tod seiner Mutter – ließ ihn umgehend wieder in die Türkei reisen. Bleibt zu hoffen, dass er die nötige Kraft finden mag, mit diesen harten Tatsachen umzugehen. Und dennoch bald wieder nach Dresden kommt.
Michael Sanderling, keine Frage, hatte größtes Verständnis für diese Absage, die freilich auch eine Umbesetzung vonnöten machte. Denn Fazil Say ist nicht nur als Komponist sehr gefragt, sondern auch als großartiger Pianist. Er hätte Ludwig van Beethovens »Sturm«-Sonate im Kulturpalast aufführen sollen. Seine 4. Sinfonie allerdings, »Umut«, hat auch ohne ihn zu beeindrucken vermocht. Sie reibt sich an schrecklicher Realität, am Terroranschlag auf eine Istanbuler Diskothek in der Silvesternacht von 2016 auf 2017. Ein I.S.-Attentäter hatte damals 37 friedlich feiernde Menschen ermordet. Deren Partylaune und die Gewehrsalven des feigen Idioten sind in Fazil Says Sinfonie hörbar.
Mit einer Uraufführung startete auch die Sächsische Staatskapelle in die neue Saison. Und damit ins Jahr, das vom 470. Geburtstag des Orchesters begleitet sein wird. Das neue Werk allerdings ist eher eine Petitesse gewesen. Nur gut vier Minuten währte das Stück des Capell-Compositeurs Peter Eötvös. Sein Gewicht zog es aus dem Anlass der Komposition, der im Titel anklingt: »Per Luciano Berio«. Uraufgeführt wurde die Orchesterfassung eines bereits 2003 zum Tod des italienischen Komponistenfreundes verfassten Epigramms für Klavier.
Die Hauptwerke dieses ersten Symphoniekonzerts der Jubiläumssaison waren Sergej Prokofjews 2. Violinkonzert, dessen Solopart die einstige Capell-Virtuosin Lisa Batiashvili mit Anmut und Verve interpretierte, sowie Gustav Mahlers 1. Sinfonie »Titan«. Geleitet wurde der Abend vom Gastdirigenten Alan Gilbert, der nun mit dem Orchester eine Europa-Tournee absolviert, die via Meran und Verona nach Grafenegg führen wird.
Quasi zeitgleich sind auch Michael Sanderling und die Philharmonie aufgebrochen, um sechs Konzerte in Südamerika zu bestreiten. Von Brasilien geht die Konzertreise über Argentinien bis nach Chile.
Auffällig viele Parallelen also beim Start in die neue Saison. Und irgendwie doch auch ein bisschen Hoffnung.