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„Nur den inneren Neigungen gefolgt“

Foto: Susanne Roitzsch

Aus seinen Händen stammt ein höchst umfangreiches Oeuvre, darunter drei Opern, zahlreiche Orgelwerke sowie vielfältige Kantaten. Die Orgel hat Jörg Herchet in jungen Jahren selbst gespielt; er wurde darin von Herbert Collum unterrichtet, als Komponist hat er immer wieder eigene Musik für die Königin der Instrumente geschrieben. Viele tragen nur den Titel »Komposition« und eine Nummer. Mit seiner Kammermusik hält es Herchet so ähnlich.

Wenn er nun zum 75. Geburtstag auf sein Wirken zurückblickt, mag er Leben und Werk kaum voneinander trennen: „Da das Komponieren von Anfang an das Zentrum meines Lebens war, habe ich natürlich auch alles vom Leben auf dieses Komponieren hin ausgerichtet. Daher darf ich auf ein wirklich erfülltes Leben zurückschauen, mit einem Gefühl größter Dankbarkeit.“ Dabei sind die Anfänge für den jungen und immer schon sehr glaubensnahen Komponisten durchaus kompliziert gewesen. Er hatte sich intensiv mit Texten von Franz Kafka sowie mit der Zwölftontechnik beschäftigt, beides galt seinerzeit als nonkonform. Dabei habe er nie die Absicht gehabt, sich querzustellen, blickt er zurück: „Ganz ehrlich gesagt, bin ich eigentlich nur meinen inneren Neigungen gefolgt. In der DDR ist damals eine Schallplatte mit Schönberg erschienen, die Kammersinfonie und »Ein Überlebender aus Warschau« darauf, das hat mich restlos begeistert, während ich von Eislers »Deutscher Sinfonie« ziemlich abgestoßen war.“ Eigentlich sei er nur seinem Interesse gefolgt, was den Unermüdlichen veranlasst habe,  gründlich weiterzusuchen. „Und wenn mich etwas berührt hat, dann habe ich eben verstärkt gesucht. Auch wenn mir etwas nicht gefallen hat, bin ich so weit in die Tiefe gegangen, bis ich dann wusste, warum es mir nicht gefällt oder – wie im Falle der Musik Gustav Mahlers – bis ich dann eben doch davon begeistert war.“

Jörg Herchet scheint stets ein Lernender gewesen und geblieben zu sein. Aus innerer Neigung, wie er sagt, und großer Neugierde, aber auch bei unvergessenen Koryphäen wie Manfred Weiss, Rudolf Wagner-Régeny und vor allem bei Paul Dessau, dessen Meisterschüler an der Berliner Akademie der Künste er wurde. „Manfred Weiss habe ich vor allem eine grundlegende Ausbildung im Komponieren zu verdanken.“ Aufgrund von politischen Differenzen mit der Schule musste Herchet dann aber bald nach Berlin gehen. Ist er etwa doch ein Querulant gewesen? Mitnichten, das Hauptproblem beschreibt er so: „Mir ist gesagt worden, schreiben Sie eine Sonate. Doch ich konnte keine Sonate schreiben, weil das einfach eine Lebensauffassung ist – Thema, Antithese, Synthese -, die mir überhaupt nicht entspricht. Es kam nicht von innen. Das war der Anlass, dass ich am Ende meines Studiums zu Paul Dessau gegangen bin, bei dem ich wirklich den wichtigen Lehrer gefunden hatte. Wenn er meine Stücke kritisierte, das war wirklich eine Kritik, die Hand und Fuß hatte.“ Aus dieser Kritik ist eine enge Kollegialität gewachsen, die wenig später in einer Freundschaft münden sollte: „Am Schluss sagte er dann zu mir, so, jetzt kommen Sie als Freund des Hauses.“

Auch Regisseurin Ruth Berghaus, Paul Dessaus Ehefrau, ist Jörg Herchet heute noch dankbar, denn sie hat 1993 die Uraufführung der Oper »Nachtwache« in Leipzig inszeniert. Eine Umsetzung mit größtem musikalischen Verständnis, was den Komponisten nachhaltig beglückt hat. Von den Produktionen seiner anderen beiden Opern, »Abraum« und »Zueinander«, war Herchet leider nicht annähernd so überzeugt. In seinem Musiktheater hat sich Jörg Herchet auch mit Glaubens- und Umweltproblemen auseinandergesetzt. „Wenn man heute in die Welt blickt, schreit uns sehr viel Abgründiges entgegen. Für mich war gerade die Umstellung 1989 eine Frage nach dem Sinn von Kunst. Nur so eine Kunst L’art pour l’art zu machen, hat mich nicht interessiert. Das mag vielleicht etwas merkwürdig sein, gerade weil ich so zurückgezogen von allem Gesellschaftlichen bin. Allerdings, wenn ich auf diese Gesellschaft geschaut habe, jetzt im Alter umso mehr, erschien mit das immer das einzig Sinngebende für Kunst überhaupt.“ So kam es wohl auch zu seinem großangelegten Kantatenzyklus »Das geistliche Jahr«.

Dass ein Arbeiter wie Jörg Herchet auch einem 75. Geburtstag keine große Bedeutung beimisst, überrascht kaum. Es sei ein Tag wie alle anderen. Allerdings habe er sich gefreut, dass in Dresden immerhin ein Orgelkonzert mit seinen Werken zum Geburtstag erklang. Im kommenden Monat folgen eine Buchvorstellung und ein Konzert in Berlin, doch der Komponist blickt vor allem nach vorn auf die nächste Reise nach Mexiko, wo er an einer spanisch-lateinisch-deutschen Marienmesse arbeiten wird.

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