Angefangen hatte es nicht in Dresden, nein – in Kalifornien. Dorthin fuhr Tino Tuch jahrelang für jeweils viele Wochen und versuchte, seinen Traum zu leben. „Sweetwater hieß ein Live-Club in Mill Valley nahe San Francisco, in dem wir über die Jahre sehr oft verkehrten“, erinnert sich Tuch, der damit klarstellt, dass der Name seines künftigen Schallplattengeschäftes nicht nach der Farm im Film »Spiel mir das Lied vom Tod« benannt ist. „Die Musik kam unter anderem von den Westcoast-Legenden wie den Jefferson Airplane-Leuten, Janis Joplin’s Band Big Brother & the Holding Company, Quicksilver Messenger Service oder auch von Mitgliedern der Grateful Dead. Das war meine Musik, da habe ich mich wohlgefühlt.“
Eines Abends, so Tuch, sagte er in die Runde: „Irgendwann mache ich einen Plattenladen auf, und den nenne ich dann Sweetwater!“ Es war, wie er sich erinnert, „reine Liebe“. Bis Mitte 1993 arbeitete Tino Tuch bei Siemens in Augsburg, dann stieg er dort aus und siedelte nach Dresden, wo bis 1989 auch sein Bruder Heiko gewohnt hatte, ein guter, mittlerweile ins Esoterische abgedrifteter Schlagzeuger. Nun wurde es mit Tino Tuchs Plänen konkreter. „Bis November hatte ich mit den Vorbereitungen zu tun“, am 8. November 1993 eröffnet er seinen geliebten Sweetwater-Laden. Doch damit war die Sache noch nicht ganz rund. Irgendwann, ein oder zwei Jahre später, stieg der legendäre Matthias »Landi« Landgraf mit ein. „Als ich zur Vorbereitung auf meinen Laden in einem befreundeten Berliner Plattengeschäft ein Praktikum machte“, erinnert sich Tino, „empfahl man mir, mich an Landgraf zu wenden, weil den Berlinern zufolge nur Landi die Szene wirklich kennt“. Landi blieb etwa zwanzig Jahre und wurde zum zweiten, für manche Kunden sogar zum wichtigsten Gesicht von »Sweetwater«. Tino Tuch ist immer noch voller Achtung für ihn. „Er ist ein nicht zu ersetzender Bestandteil gewesen, er hat für mich heute noch kolossale Bedeutung. Sein enzyklopädisches Wissen im Thema Musik ist legendär“, so Tuch. Gemeinsam mit Landi konnte der kleine Zweimann-Laden hinter dem Dresdner Körnerplatz fast alle Musikbereiche exzellent abdecken: Rock, Pop, Jazz, Klassik, Moderne. Wichtig war für viele Jahre, dass Tuch und Landgraf ihre Kunden substanziell beraten konnten und können. Im Unterschied zu heutigen Web-Shops, bei denen man im Allgemeinen vor der Bestellung wissen muss, wonach man sucht, gingen beide ganz individuell auf den Platteninteressenten ein und konnten für jeden Kunden individuell zugeschnitten Neues empfehlen. So wurde »Sweetwater« schnell zu einer Musik-Institution, zum Umschlagplatz von Wissen und Empfehlungen, zum Zentrum einer Dresdner Kommunikationskultur rund um Musik.
Der Ruf dieses Kult-Ladens verbreitete sich ab 1997 sogar international, als »Sweetwater« vom Jazzcock-Mailorder Berlin, der seine Tätigkeit einstellte, eine riesige Menge an Adressen aufkaufte. Innerhalb kurzer Zeit bestellten nun auch Kunden aus Japan oder Frankreich bei den Dresdnern. Die drastisch anwachsenden Folgen des Internet wurden schon ein paar Jahre später zur großen Herausforderung für die Sweetwater-Männer. International agierende Web-Shops wuchsen schnell zu erdrückender Konkurrenz heran, der Zweimann-Laden konnte als Versand weder preislich noch logistisch auf Dauer mithalten. Seit mindestens fünf Jahren veränderte das Internet die Musikkultur, speziell das Kaufverhalten noch in einer zusätzlichen, anderen Weise: Die Leute hören, von Genre zu Genre unterschiedlich, Musik kaum noch per CD, sondern häufig über Downloads und Streamingdienste – ein solcher Fachladen wie Sweetwater wird damit umgangen. Die LP-Verkäufe erholten sich zwar auf kleinem Level, aber auch bei LP-Käufen wird der Download-Code fürs Web mitgeliefert.
Was bleibt? Das mittlerweile als Ein-Mann-Laden (plus Stundenkräfte) agierende »Sweetwater«-Geschäft ist nach wie vor Dreh- und Angelpunkt für Musikfreunde, die das Besondere, das Seltene, das qualitativ Niveauvolle suchen. Es ist ein Treff für all jene, die Musik ernst nehmen und Tonträger kaufen, denen sie wirklich zuhören, nicht bloß als Hintergrunddudelei gebrauchen. Auch Musiker aus verschiedensten Ländern der Welt sind sich dessen bewusst, sogar Berühmtheiten kommen zu „Wohnzimmer“-Konzerten in den Laden. Insofern kann man dem Juwel nur gratulieren und auf die nächsten Jahre zuprosten!
Die 25-Jahr-Feier im »Sweetwater« (Friedrich-Wieck-Straße 4, Dresden) findet am Samstag, den 10. November 2018 von 10 bis 16 Uhr statt. Es gibt satte Rabatte – ganz dem Jubiläum entsprechend.