John Paul Corigliano, Komponist? Es dürften wohl doch nur Spezialisten sein, bei denen es bei Nennung dieses Namens klingelt, oder vielleicht die Cineasten, die sich an den Film »Die Rote Violine«, für deren Filmmusik Corigliano im Jahr 2000 den Oscar erhielt. Jetzt gibt es Gelegenheit, ein wunderbares Werk dieses 1938 geborenen amerikanischen Komponisten kennenzulernen. Da dürften die allermeisten unter uns zumindest die Vorlage kennen: die Sage vom Rattenfänger von Hameln, überliefert von den Gebrüdern Grimm, die Geschichte vom „Piper“ in den bunten Kleidern, dessen Spiel die Stadt von der Rattenplage befreite und dem die Stadt den versprochenen Lohn schuldig blieb. Der „Piper“ kam wieder; der 26. Juni 1284 soll es gewesen sein, er blieb unerkannt – und jetzt folgten die 130 Kinder seinem Spiel und zogen ihm nach, auf Nimmerwiedersehen.
»Pied Piper Fantasy« heißt das Konzert für Flöte und Orchester von John Paul Corigliano, welches in den Konzerten der Robert-Schumann-Philharmonie in der Chemnitzer Stadthalle am Mittwoch und am Donnerstag zu erleben sein wird. Am Pult steht Eckehard Stier. Nach zwölf Jahren dirigiert er wieder dort, wo der so erfolgreiche Weg des in Dresden geborenen Dirigenten begann; der Weg, der ihn später nach Görlitz und dann in die weite Welt führte. Der Kruzianer hatte an der Dresdner Hochschule für Musik studiert. Nach Abschluss des Studiums war er von 1995 bis 2003 Kapellmeister an den Städtischen Theatern Chemnitz. Im Konzertbetrieb und im Musiktheater konnte er ein weit gespanntes Repertoire erarbeiten. Von Chemnitz ging er nach Görlitz, war dort für zehn Jahre Generalmusikdirektor der Stadt und Chefdirigent der Neuen Lausitzer Philharmonie. Und von hier aus ging es in die weite Welt der Musik: Eckehard Stier wurde Chefdirigent und Musikdirektor des Auckland Philharmonie Orchestra. Es folgten Verpflichtungen an die Pulte internationaler Spitzenorchester, London Philharmonic Orchestra, London Symphony Orchestra, Tokyo Philharmonic Orchestra, San Francisco Symphony Orchestra oder natürlich auch die Dresdner Philharmonie mögen als Beispiele stehen. Stier, der sich inzwischen auch ein großes Opernrepertoire von mehr als 80 Werken erworben hatte, dirigierte in Berlin an der Komischen Oper, am Hessischen Staatstheater Wiesbaden oder an der Opera National du Rhin in Frankreich.
Jetzt kommt er zurück, dahin, wo seine Karriere begann. Im Gespräch sagt er, dass gerade dieses Werk, welches er hier erstmals zur Aufführung bringt, für ihn so wichtig sei. Es ist von hoher Qualität, eines der wenigen zeitgenössischen Flötenkonzerte, es verwendet ungewöhnliche Kombinationen an Klangfarben, die in bester Art musikalischer Cineastik, wie etwa Naturschilderungen eines Sonnenaufganges, beim Hören Bilder wie Filme im Kopf in Bewegung setzten. Für Stier ist dieses Konzert auch ein Stück für das Kind in uns. Das Konzert mit dem Solisten Andreas Kißling erhält zudem auch in den Aufführungen eine szenische Realisation durch die Mitwirkung von Kindern aus Chemnitzer Musikschulen.
Die inhaltliche Klammer der Kopplung dieses Werks mit der 2. Sinfonie von Sergej Rachmaninow ist für den Dirigenten die Bildhaftigkeit beider Kompositionen. Rachmaninows Sinfonie ist für ihn ein einziger Traum von schwermütiger Tiefe; da klingt viel Sehnsucht an, auch Religiosität mit dem Zitat des dies irae. Und so gegensätzlich wie es zunächst scheinen mag, ist dann diese Auswahl der Werke gar nicht. Beide durchbrechen für das Publikum die Rationalität des Alltags und schaffen Momente der Freiheit und der Emotion. Und das könne die Musik eben, vor allem wenn sie von einem Orchester gespielt wird wie der Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie.
Da sind sie wieder, die Erinnerungen an die Zeit als junger Kapellmeister in Chemnitz. Damals ging es durch das ganze Repertoire, da galt es den Chef Oleg Caetani zu vertreten, in der Oper, rein in den Graben, bei »Meistersinger« oder »Turandot«. Das waren prägende, herausfordernde Erlebnisse, wie sie den jungen Musiker gefördert haben, das ist ihm schon bewusst. Immerhin hatte er sich hier, und später auch für das Musiktheater in Görlitz verantwortlich, die Fähigkeiten erworben, die es möglich machten, an die Pulte der bedeutenden Orchester zu treten und das nicht nur einmal; die Einladungen bleiben nicht aus. Seit 2003 arbeitet Eckehard Stier mit dem London Symphony Orchestra zusammen, allerdings auf einem so besonderen wie speziellen Gebiet. Er spielt mit diesem Klangkörper in bester symphonischer Manier und Qualität Videospielmusik ein. »Final Symphony« heißt die daraus entstandene Konzertreihe, bei der Eckehard Stier inzwischen mehrfach am Pult verschiedener Orchester stand. Aus dieser Arbeit ergab sich die jüngste, gerade abgeschlossene Einspielung einer Filmmusik mit dem London Symphony Orchestra, natürlich in legendären Abbey Road Studios. Mehr darf zu diesem Film noch nicht verraten werden; man dürfte die Musik auf Anhieb erkennen, die Menschen, um die es in diesem Film geht, auch.
Aber das ist Zukunftsmusik. Aktuell kann man in Chemnitz John Paul Coriglianos Flötentönen des Rattenfängers folgen und sich verzaubern lassen in der weiten Melodik von Sergej Rachmaninow…
4. Sinfoniekonzert
12., 13.12., 19.00 Uhr, Stadthalle Chemnitz.
Kinder und Jugendliche (bis 18 Jahren) in Begleitung eines vollzahlenden erwachsenen Konzertbesuchers erhalten zu allen Sinfoniekonzerten freien Eintritt.