Am 2. Januar konnte er seinen 75. Geburtstag begehen, der große ungarische Komponist und Dirigent Péter Eötvös. Er ist in dieser Saison Capell-Compositeur der Sächsischen Staatskapelle in Dresden, wo er nun mit einen großen Porträtkonzert sowie im 5. Symphoniekonzert gewürdigt werden soll.
Viel Zeit zum Feiern war offenbar nicht, denn den Jahresbeginn verbrachte Péter Eötvös in Budapest bei Proben zu seinem Geburtstagskonzert, das am 5. Januar im neuen Music Center auf der Mátyás utca ganz in der Nähe der Freiheitsbrücke erklang. Natürlich ausschließlich mit Werken aus eigener Hand. Maestro Eötvös liebt Freiheit, ja, er besteht darauf. Das wird in seinem umfangreichen OEuvre ebenso deutlich wie im Gespräch mit ihm. „Mozart und ich sind gut befreundet“, hat sagt er, weil Mozart „das Melos seiner Zeit als Material“ genutzt habe. In seinem »Dialog«, einem 2016 in Salzburg uraufgeführten Orchesterstück, nutzt Eötvös musikalische Fragmente von Mozart, die zumeist nicht in dessen Kompositionen eingeflossen sind. Sie stammen aus dem Autografentresor der Stiftung Mozarteum.
Eötvös wurde am 2. Januar 1944 in Siebenbürgen geboren, im transsilvanischen Székelyudvarhely. Dieser Landstrich gehörte damals noch zu Ungarn. Die Traditionen der dortigen Musiksprache üben heute noch einen starken Einfluss auf den Kompositionsweise von Eötvös aus. „Dadurch, dass ich in Transsilvanien geboren worden bin, kam schon in meiner Jugend eine Vorliebe für die transsilvanische Instrumentalmusik vor. Das hat nichts mit der sogenannten ungarischen Volksmusik zu tun. Es ist sehr weit davon entfernt. Das kommt sehr oft in meine Stücke, natürlich verarbeitet, vor.“
Seine wirkliche Prägung erfuhr Péter Eötvös, der bereits als 14-Jähriger in die Kompositionsklasse von Zoltán Kodály an der Budapester Musikakademie aufgenommen worden ist, allerdings aus anderen Quellen. Stilistisch gesehen betrachtet er seinen Kompositionsstil eher in der Nachfolge von Béla Bartók. „Nicht im selben Stil,“ betont er, „aber aus derselben Wurzel kommen wir. Nämlich Ligeti, Kurtág und ich selbst sind eine Nachfolgegeneration, wir sind alle noch mit der Musik von Bartók als Basis verbunden.“ Bekanntlich haben auch Bartók und Kodály das musikalische Erbe ihrer Heimat gepflegt und gerettet, sind einst mit dem Fonografen durch die Dörfer gezogen und haben mit diesen Aufnahmen Tausende Volkslieder aus dem Ungarischen, Rumänischen und Slowakischen vor dem Vergessen bewahrt. Nicht selten ist das auch in die eigene Musik eingeflossen, man denke nur an Bartóks »Konzert für Orchester« oder Kodálys »Háry-János-Suite«. Bei Eötvös sind die Umsetzungen hintergründiger, von einer eigenen Klangsprache geprägt. Mit Anfang Zwanzig suchte er ganz bewusst neue Wege, verließ Ungarn und ließ sich von der Avantgarde um Karlheinz Stockhausen, Bernd Alois Zimmermann und Maurizio Kagel inspirieren. „Die elektronische Musik war für mich ein selbstverständliches Interesse. Als Dirigent habe ich das große sinfonische Orchester kennengelernt. All diese Erfahrungen konnte ich in meine Musik integrieren, das ist ein charakteristischer Zug meiner Musik.“
Immer wieder wird Péter Eötvös als Klangzauberer gepriesen. Komponieren bedeutet für ihn, wie er selbst mehrfach betonte, eine „Verzauberung der Zuhörer durch Klang“. Mit Hilfe der Technik wolle er „das Unglaubliche zum Klingen bringen“. Einen ganz wichtigen Charakterzug dieses Komponisten macht seine ungemeine Vielseitigkeit aus. Eötvös hat zahlreiche Orchesterwerke geschrieben, ebenso Solostücke und immer wieder auch Kammermusik. Hinzu kommt ein gutes Dutzend an Opern, angefangen mit den »Drei Schwestern« nach Anton Tschechow, den »Angels in America« sowie »Liebe und andere Dämonen« nach Gabriel García Marquez bis hin zum »Goldenen Drachen«. Interessant ist, dass er, wenn er für Musiktheater komponiert, auf das gesungene Wort größten Wert legt: „Meine Musik ist sehr bildhaft, hat also sehr viel mit Sprache zu tun. Ich sage immer, es ist gesprochene Musik.“
Dass nun im noch jungen Jahr 2019 zum 75. Geburtstag des Komponisten Péter Eötvös viele seiner Werke wieder aufgeführt werden, liegt auf der Hand. Das gilt auch für seine Opern, »Der Goldene Drache« etwa kommt in Krefeld heraus, »Angels in America« werden in Berlin inszeniert, die Kammeroper »Radames« wird in der Schweiz gezeigt. Péter Eötvös zählt damit längst zu den profiliertesten Komponisten unserer Zeit. Was nicht zuletzt auch daran liegt, dass er als Dirigent die Aufführungen seiner Werke in die eigenen Hände nehmen kann: „Ich betrachte beide Berufe als ein und dieselbe Berufung von zwei Seiten. Wenn ich also als Komponist etwas denke, dann würde ich das sowieso einem Dirigenten geben, der das realisiert. Und der Dirigent realisiert immer das, was der Komponist denkt. Das in einer Person ist ein Glücksfall. Dass das in meiner Person glücklicherweise so zusammenfällt, betrachte ich als ein und dasselbe. Einer denkt, der andere realisiert, und jeder lernt von dem anderen etwas. Jedes Mal, wenn ich etwas dirigiere, lerne ich etwas hinzu, das ich in der nächsten Komposition schon besser weiß.“
Jetzt aber blickt Péter Eötvös vor allem nach vorn, und da besonders nach Dresden. Denn an wohl keinem zweiten Ort ist aktuell so viel Musik von ihm zu hören wie hier, wo die Staatskapelle ihn als Capell-Compositeur eingeladen hat. Neben zwei Symphoniekonzerten und zwei Aufführungsabenden mit Werken aus seiner Hand gab es im Herbst schon ein Sonderkonzert und wird noch in diesem Monat ein großes Porträtkonzert von und mit Péter Eötvös im Festspielhaus Hellerau zu erleben sein, am 11. Januar gibt es von 19 Uhr an ein mehrstündiges Komponistenporträt. Tags drauf (12.1. um 19 Uhr, 13.1. um 11 Uhr, 14.1. um 20 Uhr) erklingt seine Komposition »zeroPoints« im 5. Symphoniekonzert der Staatskapelle in der Semperoper. Und auch nach dieser Saison als Capell-Compositeur wird Eötvös in Dresden nicht vergessen sein, wie er mit einem Blick noch weiter nach vorn bereits verraten hat: „Ich freue mich sehr darüber, dass wir im nächsten Jahr den »Goldenen Drachen« hier aufführen können. Dieses Stück – ich nenne es Musiktheater, denn es ist keine Oper – ist zwar kleiner besetzt, funktioniert aber sehr gut und wird jetzt an vielen Orten gespielt. Da freue ich mich natürlich, dass ich wenigstens aus dieser Sicht in Dresden auch als Opernkomponist erscheinen kann.“
Was freilich insofern für Eötvös ganz wichtig ist, als er einen ganz besonderen Bezug zu dieser Stadt hat: „Ich bin jetzt zum zweiten Mal in Dresden gewesen. Als ich ein Jahr alt war, bin ich hier mit meiner Familie angekommen, am Nachmittag des 13. Februar 1945. Und am selben Abend war die Stadt verschwunden. Aber wir haben überlebt, in einem Keller. Die Erzählungen über diese Nacht habe ich später sehr oft gehört, auch wenn ich natürlich keine eigenen Erinnerungen daran habe.“ Ganz gewiss wird Péter Eötvös auch an seinem 75. Geburtstag an diese geradezu schicksalhafte Begegnung mit Dresden gedacht haben. Vor allem aber – und natürlich viel lieber – schaut der komponierende und dirigierende Jubilar nach vorn: „Dadurch, dass ich 2019 das ganze Jahr dirigiere und sehr wenig zum Komponieren komme, werde ich 2020 einen starken Strich machen und viel weniger dirigieren, um ein neues Werk für die Berliner Staatsoper vorzubereiten.“ Die Uraufführung dieses Projekts namens »Sleepless« ist für Oktober 2021 geplant.