Als der »Fliegende Holländer« nach der Dresdner Wolfgang-Wagner-Inszenierung, die gefühlt die letzten fünfzig Jahre lief (tatsächlich wars nur von 1988 bis 2009), in einer neuen Lesart von Florentine Klepper an die Semperoper zurückkehrte, waren einige Rezensenten nicht eben angetan. Joachim Lange beschrieb nüchtern die Anlage der Inszenierung, Michael Ernst versuchte sich in Erklärungen, aber in den DNN war von einem „Absturz“ zu lesen, Bernd Hoppe fand die Sache „wirr und verkrampft“, Oliver Hohlbach notierte ungewohnt heftige Buhs; andere Kollegen, darunter jüngst auch wieder Bernd Klempnow, urteilten: „Schiffbruch“, die „peinlichste Inszenierung des Hauses“ sei „Murks“, „verkorkst“, gehöre sofort abgesetzt. Bämm!
Liest man jedoch genauer nach bei Ingrid Gerk, erfährt man, dass wohl 2013 das Premierenpublikum nicht angetan war von dieser Klepperschen Fassung der Oper, die gut »Senta« hätte heißen können; aber „von der Fachwelt“ sei die Fassung „gerühmt“ worden. Liest man sich weiter durchs Internet, findet man noch Roberto Beckers Urteil („klug“, „atmosphärisch opulent“, „überzeugend“, „konsequent“); die überregionalen Papierzeitungen müsste man noch einmal aufschlagen, was ich nicht getan habe.
Nein, ich bin einfach noch einmal hingegangen, habe mich noch einmal hineinsaugen lassen in diese psychologisch grundierte Traumwelt Sentas, in der vieles angedeutet wird und manches rätselhaft bleibt. Einen großen Bogen spannt die Regisseurin von einer Stummfilm-Szene zu Beginn (die man nun vor die Ouvertüre gelegt hat, gute Entscheidung!), in der Senta am Grab des Vaters niedersinkt, bis ans Ende, als die Dinge immer rätselhafter werden, die Träume wilder, und Senta in ein neues Leben aufbricht, mit ihren inneren Dämonen abschließt, schlimme Kindheitserinnerungen zurücklässt (oder folgen sie ihr doch weiter?). Herrlich abgedreht die Karikatur der Gebärmaschinen, bei denen sich Senta nicht einreihen mag (hatten die Babies damals Riesenaugen? Jetzt, in der Wiederaufnahme, sehen sie normal aus…), wunderbar die Bühneneinfälle von Martina Segna. Meine Glücksgefühle aus der Premiere stellten sich wieder ein: hier ist er wieder, ein »Holländer«, für den man natürlich ein bisschen blättern und nachdenken muss. Aber am Ende stimmt alles, alle Handlungsfäden und Denkmuster sind nachvollziehbar angelegt, Sentas Missbrauchserfahrungen werden glaubhaft gemacht, ihre Flucht in eine Anderwelt mit einem Reh als schützendem „Patronus“, mit Krähenvögeln und Feuerwänden, ist nachvollziehbar geschildert… Also: ergreifend schön, bedrückend, komplex, vielschichtig in seiner Symbolik und den vielen Metaphernspielen, zum Weinen und zwischendurch zum Lachen. Was mehr wollte man von einer Inszenierung dieses schaurigschönen Märchenstoffes erwarten?
Allen Quenglern, die die Wiederaufnahme nur so gerade mit geschlossenen Augen ertragen haben, weil der Chef selbst am Pult stand, sei zuletzt gesagt: es ist immer noch das Orchester, das die Töne macht. Und dieses Orchester ist heute und am 1. März 2019 noch einmal mit dem »Fliegenden Holländer« zu hören, dann unter John Fiore, der bereits einige Holländer-Dirigate von Constantin Trinks nach der Premiere übernommen hatte. Ich empfehle: Augen auf, Kopf an!