Dass die Staatsoperette im Kraftwerk Mitte im Dresdner Zentrum angekommen ist, ist nicht zuletzt ein Verdienst ihres Intendanten Wolfgang Schaller, der sich mit aller Kraft dafür eingesetzt hat, dieses in seiner Art einzigartige Theater vom Rand der Stadt ins Zentrum zu bringen. Das ist gelungen. Jetzt hat die Abschiedssaison für ihn begonnen: mit »My Fair Lady«, zum dritten Mal am Haus inszeniert, diesmal auf besonderen Wunsch des Intendanten.
Das Stück ist nämlich auf besondere Weise mit der Geschichte der Dresdner Staatsoperette verbunden; aber eigentlich geht diese Geschichte noch etwas weiter zurück! Denn die Choreografin der New Yorker Uraufführung war Hanya Holm, eine Schülerin von Mary Wigman, ausgebildet in deren Dresdner Schule auf der Bautzner Straße. Zehn Jahre nach der New Yorker Uraufführung fand an der Staatsoperette in Dresden die DDR-Erstaufführung mit Marita Böhme als Blumenverkäuferin Eliza Doolittle und Peter Herden als Phonetikprofessor Henry Higgins statt. Ein Riesenerfolg. Sogar in den Kinos sangen wir mit, wenn im DEFA-Augenzeugen Ausschnitte kamen: „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blüh’n….“, und das in der DDR!
446 Vorstellungen gab es damals in Leuben. Für Karl-Heinz Hanicke, der alle dirigierte, gab es den goldenen Taktstock und einen Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde. Das DDR-Publikum war wild nach dieser Geschichte des Aufstieges des armen Blumenmädchens. Man begriff schon, dass den Menschen die Sprache des Herzens ausmacht, nicht die genormten Formen diktierter Anpassung; dass Individualität über der Norm steht, dass man Menschen nicht formen kann, als wären sie Experimentiermasse, wie das der Phonetikprofessor Henry Higgins sieht.
Im Jahre 2000 gab es dann eine weitere Inszenierung an der Staatsoperette, im alten Theater, in Dresden Leuben. Jessica Glatte, Marita Böhmes Tochter, war die Eliza; Tom Pauls der Prof. Higgins. Dass sich Wolfgang Schaller für die Neuinszenierung den Regisseur Sebastian Ritschel wünschte, hat seine Gründe. Denn Schaller wünschte sich eine zeitgemäße Inszenierung. Dass Ritschel es versteht, sogenannte Klassiker zeitgemäß auf die Bühne zu bringen, hat der Operndirektor an den Landesbühnen Sachsen mehrfach gezeigt, an der Staatsoperette zum Beispiel mit »Die Lustige Witwe« oder dann im Kraftwerk Mitte mit »Die Dreigroschenoper«. Gerade wurde er mit dem Operetten-Frosch des Bayerischen Rundfunks ausgezeichnet für seine Inszenierung der Operette »Die Polnische Hochzeit« an der Oper in Graz. Und er selbst hatte ja schon zu Beginn dieser Saison zu seinen Plänen gesagt: „Ich möchte versuchen, eine Erzählweise zu finden, die sich heutiger Bilder bedient, ohne jedoch das Stück zu verbiegen.“ Er kündigte eine zeitlose Lesart dieser Geschichte zwischen Eliza und Higgins an, „irgendwo zwischen Pygmalion, Aschenputtel und Pretty Woman“. Und weil nun in der dritten Inszenierung immer auch der Geist des Moralisten, des Clowns und Kritikers George Bernard Shaw hindurchblitzt, nach dessen Komödie »Pygmalion« das Musical von Jay Lerner und Frederick Loewe entstand, kann man nur sagen, dass manchmal eben doch aller guten Dinge drei sind.
Ohne Wenn und Aber: was da auf der Bühne abgeht, ist grandios! Ritschel, der auch gemeinsam mit Barbara Blaschke die Ausstattung entworfen hat, nutzt die Möglichkeiten des Theaters bestens. Im Nu sind wir von der Straße im Londoner Nobelviertel im überdimensionierten Arbeitsraum des Professors, der da auf einem beleuchteten Stufenpodest auf dem Gipfel eitler Selbsterhöhung residiert. Dann wandelt sich der Raum mit weiten Dimensionen zur Pferderennbahn in Ascot, wo ja Eliza noch mal so herrlich aus der Rolle fällt: „Loof Dover“ ruft sie dem Pferd zu, „Loof, oder ick streu dir Pfeffer in‘ Arsch…“. Und schon glänzen die Roben auf dem Botschaftsball, wo Eliza alle Blicke auf sich lenkt: eine überirdische Prinzessin, ein Kunstwerk im Fantasiekleid, deren Reifrock aus leuchtenden Neonröhren besteht. Die Wette ist gewonnen. Higgins hat aus der Blumenverkäuferin eine Prinzessin gemacht, ein Kunstwerk nach seinem Bilde. Von der Kunst aber, ein Mensch zu sein, ist er weit entfernt.
Olivia Delauré ist die neue Dresdner Eliza, Axel Köhler der Professor Higgins, dazu ein großes Ensemble mit vielen Rollen, große Dialoge für die Hauptdarsteller, musikalisch eine Abfolge von Dauerbrennern, fast alles zum Mitsingen, zum Mitklatschen auch, da sind wir dann doch wieder ganz in der Staatsoperette Dresden. Zur Premiere gibt es eine Besetzung, wie man sie sich nur wünschen kann, auch wenn – gerade was die Eliza angeht – die Erinnerungen stark sind. Marita Böhme in Dresden, Margot Ebert in Leipzig, Eva-Maria Hagen in Dessau oder Maria Alexander in Berlin… Olivia Delauré als Erbin dieser Rolle hat von Beginn an die Töne des Herzens, diesen brechtschen Ton der Wahrheit. Axel Köhler ist ein exzellenter Darsteller; er stellt sich selbst dar! Wenn er aber spürt, dass doch mehr sein müsste, wenn er in seinem Kunstwerk Eliza mehr sieht als die Dressurmaske und berührend davon singt, dass er an ihr Gesicht gewöhnt sei, dann könnte es leider zu spät sein für ihn. Es bleibt am Ende offen, ob sich Eliza für ihn entscheiden wird oder für den naiven Freddy Eynsford-Hill, den Johannes Strauss in sympathischer Unbeholfenheit gibt. Auch er muss vielleicht noch erfahren, dass Liebe mehr ist als eine Luftblase, denn an Luftballons mangelt es nicht, und das Wort „Love“ ist vorerst – auch wenn er noch so schön singt – nicht mehr als eine Attrappe luftgefüllter Buchstaben im noblen Schaufenster.
Ritschel inszeniert, und hier muss auch Christian Grygas als vermittelnder Oberst Pickering genannt sein, was es bedeutet, das Alphabet der Menschlichkeit durchzubuchstabieren. Die Dialoge sind glaubwürdig inszeniert, sie gehen über in die Musik, das Spiel ist weitestgehend choreografisch grundiert. Natürlich ein großes Verdienst des Choreografen Radek Stopka und des Balletts der Staatsoperette im tänzerischen und bewegungsmäßig verblüffend gut gelungenen Zusammenspiel mit dem Chor und dem großen Ensemble. Dazu gehört natürlich Markus Liske als Elizas versoffener Vater, dieser philosophierende Müllkutscher in dieser „gehobenen Posse des reinen Theaterspaßes“, wie Georg Hensel über Shaws Vorlage schreibt, und für den dieser Müllkutscher frei ist von Furcht und von Gewissen, ein Nitzsche als Müllkutscher mit einem Schuss Epikur. Was bleibt da, einfach mitsingen, wenn er träumt von seinem, „kleenen Stückchen Glück….“. Und auch die musikalische Seite dieser Aufführung ist mehr als nur ein kleines Stück vom Glück mit Christian Garbosnik am Pult des Orchesters der Staatsoperette und dem Chor in so vielen Facetten in der Einstudierung von Thomas Runge. Garbosnik ist ja ein Mann des Tempos. Unglaublich, wie er schon im Vorspiel loslegt, dann aber auch zu sensibler Schmeichelmelodik findet. Die Sängerinnen und Sänger finden alle ihren individuellen Ton des Genres, keine Abstürze ins Klischee, die Musikalität ist von tänzerischer Kraft. Viel Zwischenapplaus, am Ende stürmische Begeisterung in der Staatsoperette, im Dresdner Kraftwerk Mitte, das mit dieser Inszenierung zum Kraftwerk der Gefühle wird.
Nächste Aufführungen: 29., 30., 31. Januar, ab 16. Februar, jeweils um 19.30 Uhr, Restkarten soll es noch geben.