Wenn es so ist, dass ein Ultimatum, hergeleitet vom lateinischen Wort ultimus, was so viel wie der Letzte bedeutet, vor allem eine Aufforderung ist, sich augenblicklich zu entscheiden angesichts einer schwebenden Angelegenheit, dann ist der Bedeutung nach der Begriff Ultimatum genau richtig im Hinblick auf diese neueste, dreiteilige Ballettproduktion der Dresden Frankfurt Dance Company. Zudem ist es ja in keiner anderen der darstellenden Künste von einer solchen Bedeutsamkeit, dass ja eigentlich jeder Augenblick gerade wegen seiner Vergänglichkeit von ultimativer Bedeutung für die Zuschauenden, aber auch für die Tanzenden ist.
Im ersten Teil mit dem Titel »The small infinite« fügen sich dann auch schon jene ultimativen Momente der momentanen Vergänglichkeit zu einer Abfolge jener Unendlichkeit dessen, was man zu erkennen meint und was man für sich daraus entnimmt. In 18 Minuten sind nämlich alle 18 Tänzerinnen und Tänzer der Company aktiv, wobei aber nur in ganzer körperlicher Präsenz drei Paare erkennbar sind. Allerdings bleiben bei den Kostümen, für die der Choreograf Jacopo Godani ebenso wie für den Raum und das Licht verantwortlich zeichnet, kaum Unterschiede der Geschlechter wahrnehmbar, was auch für die Gesichter gilt. Dazu kommen verwirrende Bildkompositionen der von Menschenhänden bewegten großen, massiven Platten, die auch mal wie Türen wirken, von denen man aber nicht weiß, in welche Räume sie führen könnten. Allerdings sind immer wieder die Hände derer, die sie bewegen, sichtbar. Was aber in keinem Falle darauf schließen lassen kann, wieviele der Tänzerinnen oder Tänzer sich jeweils in dieser Art des Überganges menschlichen Daseins in getanzten Formen lebloser Materie hinter diesen Platten befinden können. Auch kommt es zu verwirrenden Momenten, wenn nicht wahrnehmbar ist, ob ja nicht doch den Tänzerinnen und Tänzern jener drei Paare mitunter jeweils mehr als nur zwei Arme mit zwei Händen gewachsen sind. So mischen sich das Sichtbare und das Unsichtbare, das Vergangene und das Gegenwärtige. Welche Kunst könnte dem eher entsprechen als die des Tanzes? Zumal, wenn sich die Energien des Augenblicks so eindrucksvoll zu einer Abfolge von Assoziationen fügen. Und das gilt auch für die Musik, für die Klänge, für den Sound, wenn sich in klingender Korrespondenz dazu die elektronischen Kompositionen von 48nord (Ulrich Müller und Siegfried Rössert) mit zugespielten Auszügen aus Cellosonaten von Johann Sebastian Bach in den Interpretationen von Jan Vogler mischen.
Im zweiten Teil, »Ultimatum Part II«, wiederum mit Klangkombinationen einer Montage der futuristischer Klänge von 48nord mit erinnernden Zitaten von Bach, beherrscht die Bewegungskraft der ganzen Company den Raum. Wieder aber sind die Tänzerinnen und Tänzer individuell nicht immer direkt wahrzunehmen. Die Energie der Gruppe aber, das ist nicht zu übersehen, entwickelt sich aus dem tänzerischen Zusammenklang der Einzelnen. Die geheimnisvollen Türen des ersten Teiles bilden jetzt den Hintergrund im weiten Raum mit seinen wechselnden Lichtinstallationen. Hinzu kommt, dass immer wieder Tänzerinnen und Tänzer, auch hier in kaum zu unterscheidender Männlichkeit oder Weiblichkeit, hoch aufragend agieren, denn sie tragen Stiefel mit hohen Plateaus, die sie zwar nicht abheben lassen, dennoch vom Boden aus erhöhen. Es ist erstaunlich, wie es immer wieder gelingt, die Grammatik des Tanzes zu erweitern, Bewegungen hoch aufgeführter Arme, die an Traditionen des Balletts erinnern, dann doch bei verblüffenden Richtungswechseln zu tänzerischen Erforschungen ganz neuer Definitionen der Menschen im Raum werden können. So bestehen hier die ultimativen Momente des Tanzes in der Auseinandersetzung mit Raum, Licht, Klang und Material darin, dass der Tanz als Abfolge von Werden und Vergehen zu kraftvollen, zukunftsweisenden Aktionen führen kann. Aber auch die Kraft des Konjunktivs tänzerischer Existenz kann sich zeigen, wenn jene Tanzenden, eben noch im Licht sich bewegend in der Dunkelheit verschwinden. Wenn sie sich selbst den Boden unter den Füßen wegreißen, wenn sie sich in die Bahnen dieses Bodens einhüllen, dann können dies ebenso Momente der Flucht sein wie jene einer Verwandlung, die ihr Geheimnis noch nicht Preis gibt.
Im dritten Teil dann, in der Neubearbeitung von Godanis »Unit in reaction« vom März 2018, fügen sich Tanz und Klang, Licht und Raum zu einem Gesamtkunstwerk. Wieder ist die ganze Company in Aktion, wieder fügen sich die Energien der Einzelnen zur kraftvollen Emotion der Gruppe. Aber hinzu kommt hier die geradezu tänzerische Installation des Lichtes mit den herauf und herabfahrenden Leuchtstoffröhren, die zudem den ganzen Raum schwingen lassen. Es mag eine optische Täuschung sein: die Bühne, dieser magische Raum als Abbild des Universums, tanzt! Der Schluss dann ist so verstörend wie voller widerständiger Hoffnung. Alle Tänzerinnen und Tänzer hüllen sich jeweils in eine Bahn des Tanzbodens, eben jener Grundlage ihrer tänzerischen Existenz, mit der sie nun eins werden. Das Licht verlischt. Die Hoffnung stirbt zuletzt, in diesem Falle die darauf, dass wieder eine Stimme spricht, es werde Licht.
Mit »Ultimatum« setzt Jaocopo Godani einen so kraftvollen wie in seiner Assoziationsweite sensiblen Akzent in seiner anhaltenden tänzerischen Auseinandersetzung mit den Flüchen und den Chancen der Evolution und der Frage danach, ob denn wirklich der Mensch an deren Spitze stehe.