Wer mit dabei gewesen ist, wird sich an eine Sternstunde erinnern. Noch nie, so sagte man mir, habe es in Dresden eine Ausstellungseröffnung nach Mitternacht gegeben. In einer lauen Frühsommernacht gab es sie dann aber doch, direkt im Anschluss an ein phänomenes Konzert des Jazzpianisten Joachim Kühn in der Kreuzkirche. Und diese Vernissage, auch wenn es denn tatsächlich Dresdens erste zu so später Stunde gewesen sein sollte, zog sich bis in den frühen Morgen. Denn Joachim Kühn ist nicht nur am Klavier brillant, nicht nur am Saxofon, dem er ebenfalls frönt, nein, Joachim Kühn hat die Musik, wie man so sagt, wirklich im Blut – deswegen bringt er sie auch auf die Leinwand!
Seine farbenprächtigen, ungemein energiegeladenen Bilder wurden damals, wir reden vom Sommer 2003, im Institut français präsentiert, was in mehrfacher Hinsicht ein Debüt gewesen sein dürfte, also nicht nur die Uhrzeit betraf.
Der heute vor 75 Jahren in Leipzig geborene Allrounder, als den man ihn wohl bezeichnen muss, ist freilich mehrfach in Dresden gewesen. In der Semperoper, zum sogenannten Echo Jazz, zudem bei den nahe Freiberger Jazztagen. Jedesmal waren es unvergessliche Begegnungen, denn Kühn ist – ebenso wie sein 15 Jahre älterer Bruder Rolf – ein absolutes Unikat. Ein Mann, der keine Grenzen kennt, weder spieltechnisch in seiner Virtuosität, noch in seiner nie versiegenden Innovationskraft. Das beinhaltet allerdings auch, dass einer wie er in seinem gesamten Schaffen keinerlei Berührungsängste gekannt hat und sie auch heute nicht kennt.
Von Leipzig aus wurde er zum jazzigen Weltbürger, ging in die USA, lebte eine Zeitlang in Paris, ist heute auf Ibiza zu Hause und sowieso überall unterwegs. Jüngst hat er sich wieder einmal mit einem neuen Album vor der Legende Ornette Coleman verneigt. Dessen Schallplatten hatten es ihm in sehr frühen jugendlichen Jahren schon angetan, er hat sie aufgelegt und parallel dazu am Klavier geübt. Als es später zu realen Begegnungen auf der Bühne kommen sollte – beispielsweise zu den Leipziger Jazztagen im Opernhaus der Messestadt -, waren beide längst auf Augenhöhe. Joachim Kühn war immer wieder neugierig auf befruchtenden Austausch, dafür hat er mit internationalen Größen ebenso musiziert wie mit Jüngeren, er hat den Spagat bewältigt, mit dem Leipziger Thomanerchor die Musik von Johann Sebastian Bach in völlig ungeahnter Manier zu interpretieren.
Kontakte mit anderen Welten, mit nordafrikanischer Musik, die aus tiefen Traditionen stammt und dennoch spürbar freie Sehnsüchte bedient, waren und sind im Kosmos Kühn unerlässlich. Davon lebt dieses Genie bis heute.
Er ertastet sich die Welt, so hat es der ebenfalls aus Leipzig stammende Jazz-Experte Bert Noglik jüngst unübertrefflich gültig formuliert. Hoffentlich auch bald mal wieder in Dresden.