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Lachhaft!

Wer das sogenannte Nachbarschaftsmusical »Zzaun!« aus Gründen des diesem Stück sehr burschikos zugrundeliegenden Sujets gemieden hat, der wird bei Victor Hugo wahrscheinlich weniger oder gar keine Vorbehalte haben. »Der Mann mit dem Lachen« klingt ja auch unverfänglicher als jene Gruselgeschichte aus der deutschen Provinz. Nur dass der Buchautor des Stücks denselben Namen trägt, hätte skeptisch stimmen können.

Jannik Harneit (Alle Fotos: Stephan Floß)

Tilmann von Blomberg hat auch dieses jüngste Auftragswerk der Staatsoperette Dresden verbal verzapft. Alexander Kuchinka ist ihm für die Gesangstexte beigesprungen. Dass daraus ein intellektuelles Schenkelklopfen von magersüchtigem Anspruch resultieren würde, hätte den Auftraggebern von vornherein klar sein müssen. Immerhin wurde damit das Versprechen eingelöst, in schöner Regelmäßigkeit ein neues Musical zu präsentieren, ob die Welt dies nun braucht oder nicht. Das Premierenpublikum durfte sich bereits Ende April von diesem niveaufreien Absprung ins Bodenlose freudigst überzeugen.

Dabei ist die Geschichte scheinbar verworren wir nur wenige sonst: Revoluzzer-Sohn gerät in Zwangssituation, schwört ewige Rache und schürt tödlichen Hass. Die Ober- tanzt auf der Unterschicht, Royalisten treten gegen Republikaner und umgekehrt an. Soweit alles klar? – Darauf kommt’s in der Musical-Staatsoperette gar nicht mehr an.

»Der Mann mit dem Lachen« ist eine in ihren frühen Jahren schon grausam entstellte Figur, die von Kinderhändlern auf Jahrmärkten herumgereicht wird und dem Volk als Spektakel dient (wie sich die Zeiten kaum ändern!). Sein Name ist Gwynplaine, durch Zufall findet er erst ein blindes Mädchen und dann Aufnahme beim barmherzigen Schausteller Ursus. In diese scheinbar heile Welt, eine armselige Idylle, bricht urplötzlich die Gier des Reichtums nach noch mehr Reichtum herein – Gwynplaine wird ohne Begründung verhaftet und aufs Schloss gebracht, wo er mit der notgeilen Halbschwester der Königin verheiratet werden soll. Denn ausgerechnet er soll der Erbe einer reichen Adelsfamilie sein – was ihn vor allem interessant für den Liebhaber besagter Halbschwester macht.

Immer noch alles klar soweit?

Seien wir ehrlich. Schon die Handlungsstränge sind reichlich verknotet und hätten für die Bühnendramaturgie eine straffende Entwirrung verdient. Statt dessen aber haben Blomberg und Kuchinka ihre Adaption des 900-Seiten-Romans »L’homme qui rit« von Victor Hugo in Textstrukturen gepresst, bei denen allein die Reime zum Lachen sind, nicht aber der Titelheld, also der lachende Mann. Komponist Frank Nimsgern hat dazu eine Musik geschrieben, die in all ihrer erwartbaren Voraushörbarkeit nur zum Kopfschütteln dient. Andrew Lloyd Webber für die ostdeutsche Provinz? Wo bleibt da der Anspruch?

Die einzige Überraschung hat Nimsgern bei seinem durchaus akkuraten Handwerk in eine Szene gesteckt, die einen eher ungewollten Bruch in diesem gewollten Musical darstellt. Da wird dann plötzlich Charleston zu einer Stempelorgie ohne Stepdance, aber mit Stempeln gesteppt.

Originell und teils durchaus überraschend in dieser eher biederen Inszenierung von Andreas Gergen ist die Ausstattung mit den überwiegend historischen Kostümen von Uta Loher und Conny Lüders sowie vor allem den sich immer mal wieder weitenden Kulissen von Bühnenbildner Sam Madwar gelungen. Handwerklich perfekt haben auch das Orchester sowie die Gesangs- und Tanzensembles der Staatsoperette unter der musikalischen Leitung von Peter Christian Feigel agiert. Dass ein Auftragswerk die ihm zur Verfügung stehenden Solisten teilweise an gesangliche Grenzen führt, wirkt allerdings wie ein ungewollter Treppenwitz, über den sich das Lachen verbietet.

Sowohl Jannik Harneit als verunstalteter Jahrmarktsartist Gwynplain als auch Christian Grygas als durchtriebener Barkilphedro sind so kräftig gefordert, dass sie trotz ihrer längst erwiesenen Potentiale partiell wie an die Wand gestellt wirken. Olivia Delauré als blindes Waisenmädchen Dea gibt sich weitsichtiger und verlangt nach hellhörigerer Aufmerksamkeit. Anke Fiedler giert mit grell gespielter Geilheit und robustem Timbre als verführerisch Verruchte auf eine abgesicherte Zukunft – und Publikumsliebling Angelika Mann stemmt sich kaltschnäuzig als Königin Anne durch die Szenen.

Die gesamte Belegschaft widmet sich redlich dem lachhaften Projekt, doch weder die Vorlage noch deren Umsetzung mag zu einem sinnhaften Musical taugen.

»La vache qui rit« ist ein französischer Schmelzkäse, der außer dem originellen Namen (»Die Kuh, die lacht«) keinerlei Grund aufweist, empfehlenswert zu sein. Jedenfalls keinen geschmackvollen Grund. Warum nur musste ich just beim Musical »Der Mann mit dem Lachen« an diesen faden Aufstrich denken?

Wieder am 8., 12., 14. Mai

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