Ein Kammermusikkonzert im Palais im Großen Garten. Festlich leuchtet der Saal, viel auswärtiges Publikum, in der Pause wird zum sächsischen Weißwein englisch, japanisch, chinesisch gesprochen. Und das Programm! Das Hagen Quartett spielt Schostakowitschs dreizehntes und Beethovens vierzehntes Streichquartett. Ersteres ist eine zutiefst verstörende Klage, ein Spiegel einer schizophrenen Gesellschaft, in der das denkende Individuum im Kampf mit den Mächtigen sein Schicksal verhandelt. Das Zweite ein von einem russischen Adligen beauftragtes Werk, in dem der Komponist einem Genre die Zügel schießen lässt, um weit über sich und die Zeit hinauszuweisen, sämtliche Erwartungshaltungen zu sprengen. Begeistertes Trampeln, Pfiffe, Jubel! Und vorher knapp zwei Stunden höchster Konzentration und tiefster Versenkung – in denen der Geist doch und gerade zu wandern beginnt.
„Kein Cent für politisch motivierte Kunst“ – mit diesem Wahlversprechen ist die AfD am Sonntag im Dresdner Stadtrat zur drittstärksten Kraft geworden. Im Regierungsprogramm der Sachsen-AfD findet sich dieser sicher etwas platte Spruch seit heute mit Details untersetzt: so soll unsere Kultur zukünftig ein „Spiegel des Selbstverständnisses der sächsischen Bürger“ sein.
Als Dresdner Kulturbürger, Musiker, Kritiker, Gründer eines vom Europäischen Zentrum der Künste unterstützten Kulturprojekts (das, wenn es nach der AfD ginge, sofort den Hahn abgedreht bekäme) und Mitorganisator eines hochsubventionierten Kulturfestivals frage ich mich, was dieses neue Selbstverständnis von Kultur für Auswirkungen auf Dresden haben wird. Momentan heißt es von seiten der CDU noch, mit der AfD wolle man nicht zusammenarbeiten (wie lange noch?). Aber ab Herbst wird die AfD sicherlich so manche Kultursubvention lautstark und populistisch hinterfragen. „Ist das Kunst? Oder kann das weg?“ Gerade fragile, streitbare, abseits des Selbstverständnisses der sächsischen Bürger liegende Kunstprojekte werden es schwerer haben.
Wobei der Begriff einer „politisch motivierten Kunst“ erst einmal hanebüchen klingt. Was ist damit gemeint? Ich vermute: Kunstveranstaltungen wie Konzerte „für Weltoffenheit und Toleranz“ waren und sind der AfD ein Dorn im Auge. Dass sich sächsische Politiker auf Solidaritäts-Konzerten wie dem im Chemnitz blicken lassen, gar den teilnehmenden Künstlern danken – ein Unding. Kulturprojekte mit Geflüchteten, Theater über die AfD, ein Orchester für Kinder aus verschiedenen, auch nicht ursächsischen Kulturkreisen? Verzichtbar. Im weiteren Sinne wäre eigentlich schon die Sensibilisierung des sächsischen Bürgers für diese Themen zu unterbinden; so, wie in Russland die öffentliche Erwähnung von Homosexualität unter Strafe steht (s. „Gesetz über die Propaganda von Homosexualität und Pädophilie„), auf dass diese westlichen Unsitten nicht weitere Kreise im Land ziehen und langfristig ausgemerzt werden. Wozu alljährlich teure internationale Gastkünstler zu den Musikfestspielen einladen, wenn Sachsen doch so viele einheimische (heterosexuelle) Musiker, Spielmannszüge, Bergsteigerchöre und Bergmannszüge aufzubieten hat? Im noch weiteren Sinne wäre mit der AfD zu fragen: wer braucht eigentlich diesen teuren Kunstunterricht in den Schulen? Überhaupt, kommunale Förderung für Musikschulen? Warum eigentlich überhaupt öffentliche Orte und neue Bauten für solche Kunst fördern? Und so weiter.
Und wenn jetzt ein AfD-Politiker schnaubte: so sei das ja nicht gemeint gewesen, man wende sich vorrangig gegen „soziokulturelle Klientelpolitik“ – dann heißt das im Klartext, dass der genehme Mainstream gestärkt und alles andere möglichst ausgetrocknet werden soll. Gordon Engler (AfD) formuliert das unmissverständlich: „Neumodische Extravaganzen passen einfach besser zu einer Stadt wie Berlin. Dresden und seine alteingesessene Bürgerschaft sind für eine Großstadt vergleichsweise konservativ geprägt. Insoweit gilt es auf den Geschmack und die Interessen der Bürger Rücksicht zu nehmen. Die exzentrische Randgruppenkunst sollten wir daher gerne Leipzig und Berlin überlassen.“
Lieber Jan Vogler – gute Chancen sehen wir da allenfalls für „Dresden singt und musiziert“, vielleicht noch für die „Serenade im Grünen“ mit dem Kreuzchor. Für die restlichen fünfundfünfzig Veranstaltungen der Dresdner Musikfestspiele, für Jordi Savall und sein „Orient-Okzident“-Projekt mit syrischen Musikern (Gott behüte!), für den amerikanischen Glashütte-Preisträger Joshua Bell, für Triadische Ballette (rätselhafte Avantgarde-Kopfgeburt, weg damit), für Yo-Yo Ma, AuditivVokal und gerade für Veranstaltungen mit Schostakowitsch-Quartetten sieht es dagegen ganz, ganz düster aus.