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Andere Welten

Pünktlich mit dem Ende des Sommers hoben die Dresdner Kultureinrichtungen am vergangenen Wochenende die mehr oder minder schweren Samtvorhänge, und bevor es in den Theatern zur Sache geht, preschten die beiden Orchester vor. Die Sächsische Staatskapelle Dresden kam beim 1. Sinfoniekonzert ohne ihren Chefdirigenten aus, der vermutlich wie in jedem Jahr eine bayreuthbedingte Atempause vornimmt. Damit war die Bühne frei für ein Wiedersehen mit dem Ersten Gastdirigenten der Sächsischen Staatskapelle, dem Koreaner Myung Whun-Chung, der in der Vergangenheit mit dem ihm freundschaftlich verbundenen Orchester viele Konzerte gegeben hatte, darunter eine beachtete Folge von Mahler-Sinfonien. Zuletzt aber musste er einige Gastspiele in Dresden absagen, um so mehr war man nun über die Fortsetzung der musikalischen Partnerschaft erfreut.

Und die schlug sich im 1. Sinfoniekonzert in einem durchweg spätromantischen Programm nieder, das auf den ersten Blick wenig spektakulär schien. Weil die Kapelle in dieser Woche auf eine Festspieltournee durch Europa geht, hatte Chung die drei Konzerte in zwei Programme aufgeteilt, das erste bot das berühmte „Rach 3“, das 3. Klavierkonzert d-Moll von Sergej Rachmaninow, das mittlerweile bei den großen Pianisten kaum noch wie einst als besonders gefürchtet gilt, aber dennoch sehr genau über die Fähigkeiten der Interpreten Auskunft zu geben weiß, nicht umsonst ist es Standard bei den wichtigen Klavierwettbewerben der Welt. Und natürlich läßt sich über technische Ausführung wenig streiten, um die Ausdeutung des sämtliche Bögen weit spannenden Werkes aber um so mehr.

Myung Whun-Chung im 1. Sinfoniekonzert (Fotos: Matthias Creutziger)

Insofern war auch gar nicht falsch, was die Chinesin Yuja Wang am Sonntagvormittag in der Semperoper an Ausdeutung anbot, es war eben ihre Sicht auf die Dinge. Die war – bis auf das einfach und schön vorgetragene erste Thema – nicht unbedingt sehr nah an der Partitur ausgerichtet, was das Orchester und den mit gewohnter Ruhe begleitenden Myung Whun-Chung einige Male in tönendes Stirnrunzeln brachte. Das war am deutlichsten zu Beginn des 3. Satzes spürbar, als Chung beinahe trotzig das Orchestervorspiel wie ein Ausrufezeichen formte, um dem Konzert wieder zu klaren Bahnen zu verhelfen. Ärgerlich war es zuvor bereits, als Wang die Kontrapunktik des Russen mit unsensiblem Pedal in einen Klangnebel verwaberte oder ihre unzähligen Temporückungen sich im Ohr auch nicht mehr zu einem Ganzen ordnen lassen wollten. Der Griff in den Kaskadenkasten war hochvirtuos, aber das blockweise Herumtasten in diesem Werk führte zu einigem Scheitern. Differenzierung tat not, stand aber an diesem Tag nicht auf dem Programm der Pianistin, die in anderen Welten unterwegs war. Erst in ihrer ersten Zugabe, der Liszt-Bearbeitung des Schubert-Lieds „Gretchen am Spinnrad“ fand sie einen ganz ruhigen und klaren Ton. Warum sie diese ihr eigene Qualität nicht für das Konzert benutzt hatte, blieb rätselhaft.

Das Konzert beendete Myung Whun-Chung mit der 2. Sinfonie D-Dur von Johannes Brahms. Der Dirigent konnte sich hier auf den Schönklang und das Engagement der Kapellmusiker verlassen und gestaltete mit der ihm eigenen, höchst sparsamen und doch klugen Gestik viele Feinheiten innerhalb eines bereits als Basis vorhandenen dichten, nicht überbordenden Legatoklanges. Besondere Tiefe erreichte Chung im zweiten Satz, den er deutlich als schattigsten Abschnitt des Werkes hervorhob. Hier scheint Brahms kurz, aber intensiv zu fragen, ob das mit dem Leben und der Musik denn wirklich alles so stimme. Im vierten Satz gibt sich der Komponist selbst die Antwort, vielleicht ein wenig zu freiherzig, so dass man nach den den Wörthersee aufwühlenden Schlusstakten vorsichtig ein „Wirklich?“ auf den Lippen hat. Chung jedenfalls feierte den Lebens-Ausklang des Werkes mit guter Tempoverschärfung und war sichtlich bewegt, wieder einmal mit den Dresdner Kapellmusikern musiziert zu haben – und auch den feinsinnig musizierten ersten ungarischen Tanz von Johannes Brahms wird das Publikum auf der Europatournee sicher noch einige Male als Zugabe herausfordern.

Am Montagabend wird in der Semperoper das zweite Programm gespielt, das neben einem Liederzyklus von George Enescu die Freischütz-Ouvertüre von Carl Maria von Weber enthält.

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