Wenn nach Komponistinnen gefragt wird, kommen selbst gestandene Experten (und Expertinnen natürlich auch) rasch ins Grübeln: Gewiss kennt man Fanny Hensel, bei etwas Nachdenken auch Hildegard von Bingen, aus jüngerer Zeit fallen uns Sofia Gubaidulina, Chaya Czernowin, Adriana Hölszky, Isabel Mundry, Lera Auerbach und Olga Neuwirth ein. Wie steht es um Ruth Zechlin? Nadja Boulanger? Oder gar Ursula Mamlock? Beinahe vergessen, nur noch einem Fachpublikum bekannt. Die Kompositionsversuche der Bettina von Arnim treten hinter deren literarischem Werk zurück, die Alma Mahlers hinter ihrer umtriebiger Biografie und sowieso den Werken von Gropius, Kokoschka, Werfel und Mahler.
Ein Name jedoch, wenn es um das Weibliche in der Musik geht, überstrahlte zu Lebzeiten bereits alle anderen und ist auch heute bestens bekannt: Clara Schumann, die immer schon mehr als nur „Frau von …“ gewesen ist, also nicht nur die Gattin des Komponisten Robert Schumann, schon gar nicht nur „Tochter von …“ Friedrich Wieck.
Doch just dieser gestrenge Über-Vater hat beizeiten für die Bekanntheit der am 13. September 1819 in Leipzig geborenen Clara gesorgt. Ein Wunderkind glaubte er in ihr zu haben, indem er sie von früher Kindheit an ehrgeizig durch die Konzertsäle halb Europas getrieben hat. Gut möglich, dass er dabei auch an das bekannte Vorbild der Familie Mozart gedacht haben mag. Für beinahe noch mehr Bekanntheit – zumindest für die Nachwelt – sorgte Wiecks Verdikt, mit dem er die Liaison Claras zum neun Jahre älteren Robert Schumann verhindern wollte. Noch heute kommt kaum ein Konzerthinweis, schon gar kein Programmheft ohne diesbezügliche Hinweise aus. Um das Thema also abzuhaken: Robert, der in jungen Jahren bei Friedrich Wieck Klavierunterricht nahm und 1834 gemeinsam mit ihm die Neue Zeitschrift für Musik gegründet hat, musste sich das Ja-Wort erst vor Gericht erstreiten.
Was für ein Fressen wäre das für die Klatschpresse gewesen, hätte es damals schon die Boulevard-Medien heutigen Stils gegeben! Da ging man in der Spätphase der deutschen Romantik doch viel gefühlvoller mit diesem Thema um. Wer sich ein Hörbild davon zu eigen machen will, lausche ergriffen der bereits 1838 wie im Rausch von Robert Schumann geschaffenen »Kreisleriana« oder dessen Zyklen »Liederkreis« und »Dichterliebe« aus dem sogenannten Liederjahr 1840, dem ersten seiner keineswegs immer umkomplizierten Ehe mit Clara. Das ist in Noten gesetzte Emotionalität.
Doch so ähnlich, wie auch Fanny Mendelssohn kompositorisch im Schatten ihres begabten Bruders stehen sollte, wünschte sich auch Robert Schumann vor allem eine ihn inspirierende Ehefrau. Auf Konzertreisen sollte Clara nun möglichst verzichten, um an seiner Seite zu sein: „Clara kennt aber selbst ihren Hauptberuf als Mutter, daß ich glaube, sie ist glücklich in den Verhältnissen, wie sie sich nun einmal nicht ändern lassen.“ Egozentrischer Fatalismus? Sein Komponieren wollte er am liebsten mit ihr gemeinsam betreiben.
Künstlerische Eigenständigkeit der Frau? Damals wohl ein undenkbarer Zustand. Als es dann doch wieder zu einer Konzertreise der europaweit bekannten Pianistin kam, die das Ehepaar nach Sankt Petersburg und Moskau führen sollte – unter anderem an den Zarenhof –, dürften die Erfolge seiner umjubelten Gattin für den nervlich ohnehin permanent angegriffenen Robert eine fortgesetzte Demütigung gewesen sein. Schließlich stand er selbst nur allzu gern im Zentrum aller Aufmerksamkeit.
Dieses Ziel sowie fortgesetzte Geldnöte trieben die Familie – damals schon mit den ersten beiden ihrer später insgesamt acht Kinder – nach Dresden, da die erhoffte Mendelssohn-Nachfolge am Leipziger Gewandhaus nicht zu Roberts Gunsten ausfiel. An der Elbe fanden sie ihr „musikalisches Nest“, von dort aus machten sie sich häufig zu inspirierenden Ausflügen in die Umgebung auf. Dass diese Momente in der Natur auch etwas Versöhnliches für die Eheleute hatten, darf angenommen werden, denn trotz häuslicher Pflichten ist es noch immer Clara gewesen, die als begehrte Pianistin – bereits 1838 zur „Kaiserlich-königlichen Kammervirtuosin“ ernannt – den Ruf ihres Mannes überflügelte. Der hatte ein Jahr vor der ersehnten Hochzeit allen Ernstes behauptet, „das Weib“ stehe „doch höher als die Künstlerin“.
Die Dresdner Jahre von Clara und Robert Schumann waren geprägt von einem regen gesellschaftlichen Leben, sie pflegten den Austausch mit Literaten, Malern und Musikern sowie selbst mit Politikern. Allerdings vermissten sie beide in der Residenzstadt das in Leipzig längst blühende bürgerliche Musikleben. Vor allem aber litt Robert, auch wenn er in dieser Zeit fleißig komponierte, am Fehlen einer festen Anstellung. Die seinerzeit sicherlich ungewöhnliche Abhängigkeit von den Verdiensten seiner Frau war dem im nahen Loschwitz lebenden Schwiegervater Wieck weiterhin ein Dorn im Auge.
Im Herbst 1847 übernahm Robert die Dresdner Liedertafel von Ferdinand Hiller, dem er 1850 nach Düsseldorf folgte, wo er das Amt des Städtischen Musikdirektors übernahm. Zuvor wehte die Revolution von 1848/49 durchs Land und erfasste maßgeblich auch Dresden, wo sich Michail Bakunin im Maiaufstand 1849 gemeinsam mit Gottfried Semper im Barrikadenbau übte und Richard Wagner vom Königlich-Sächsischen Hofkapellmeister zum Kurzzeit-Revoluzzer mutierte. Was tat da Robert Schumann? Soeben hat er glücklich seine romantische Oper »Genoveva« vollendet (1850 in Leipzig uraufgeführt), nun sollte er von den Revolutionären für eine Bürgerwehr eingeteilt werden? Nichts lag ihm ferner als dies. Mit Frau und Tochter Marie reiste er per Bahn ins nahe Dohna und von dort weiter ins Schloss zu Maxen. In diesem beschaulichen Dörfchen – mit bis heute grandioser Aussicht – residiert die befreundete Familie von Friedrich Anton Serre, einem Militär und Mäzen, der sich als Mitbegründer der Deutschen Schillerstiftung in die Annalen eingeschrieben hat. Die Schumanns waren hier schon wiederholt zu Gast, doch diesmal fand man sich inmitten von Adelsleuten wieder, die ob der revolutionären Umtriebe verständlicherweise wenig amüsiert gewesen sind. Hausherr Serre und seine Frau Friederike sollen sich als die einzigen liberal gesinnten Leute in dieser Gemengelage hervorgetan haben. Aber sie hatten den Liebenden ja schon mal geholfen: Als Friedrich Wieck seine Tochter Clara vor Robert schützen wollte, hatte er sie just nach Maxen gebracht; ohne zu ahnen, dass Serres die Liebe der jungen Leute über die Freundschaft zum alten Wieck stellen würden.
Mag man es für möglich halten, dass Clara, Maria und Robert Schumann es im Mai 1849 eine Woche lang in Maxen aushielten, während die anderen Kinder im umkämpften Dresden verblieben sind? Ist es vorstellbar, dass Robert hier weiter an seinen »Kinderliedern«, an Chorsätzen sowie den »Jagdliedern« komponiert hat, und die hochschwangere Clara dann noch einmal den Weg nach Dresden antreten musste, um die Familie wieder zu vereinen? Wenig später sind sie nach Kreischa zogen, immer noch in sicherem Abstand zu den Wirren der bald darauf niedergeschlagenen Revolution. Dort dürften sie im Königlichen Badehotel logiert und beträchtliche Ausgaben gehabt haben, Clara notierte in jenen Tagen mit einigem Erstaunen: „Merkwürdig erscheint es mir, wie die Schrecknisse von außen seine innern poetischen Gefühle in so ganz entgegengesetzter Weise erweckt. Über den ganzen Liedern schwebt ein Hauch der höchsten Friedlichkeit, mir kommt alles darin wie Frühling vor, lachend wie die Blüten.“
Ein gutes Jahr später verlässt die Familie Sachsen und zieht an den Rhein. Sieben Jahre nach Roberts Tod (1856) zieht Clara Schumann nach Baden-Baden, spätestens hier erhebt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Clara und dem 14 Jahre jüngeren Johannes Brahms. Gab es da eine Liebesgeschichte, war alles nur schwärmerisch und platonisch oder hat da die Nachwelt etwas hinzugedichtet? Das werden wir vielleicht nie mehr erfahren. Aber wer gründlich auf die in diesen Zeiten entstandene Musik hört, könnte den Geheimnissen ein kleines Stück weit auf die Spur kommen.