Liebe Leserinnen und Leser, liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Fernseherinnen und Fernseher. Heute werden Ihnen Geheimnisse und Binsenweisheiten mitgeteilt. Hier die erste: Ein Knabenchor ist ein Knabenchor ist ein Knabenchor. Frage von Sender Jerewan: Warum? – Weil in einem Knabenchor ausschließlich Knaben singen. Auf dass ein Knabenchor nach Knabenstimmen klingen mag. Zweitens: Es gibt Knabenchöre, Mädchenchöre, gemischte Chöre, Frauenchöre, Männerchöre. Ja, Opernchöre gibt’s auch, die singen mitunter mehr als gemischt. Und nein, Gesangsvereine sind etwas ganz anderes.
Jetzt ein erstes Geheimnis: Manche Traditionen sind älter als Genderwahn, Geschlechtersternchen und Binnen-I. Viel älter. Knabenchöre zum Beispiel. Sachsen hat gleich zwei davon. Beide sind mehr als 800 Jahre alt (naja, fast). Ihre Mitglieder allerdings (keine Mitgliederinnen!) sind wesentlich jünger, aber allesamt männlich. Knaben eben. Das nächste Geheimnis ist eigentlich gar keins, hat aber in diesen bewegten Tagen für Schlagzeilen gesorgt: Eine eifrige Rechtsanwältin wollte und will sich nicht damit abfinden, dass Mädchen in Knabenchören nichts zu suchen haben. Ihre eigene Tochter zum Beispiel. Für die wurde nun auf juristischem Weg ein Vorsingetermin beim Leipziger Thomanerchor erstritten.
Was Prozessbeobachtern und Prozessbeobachterinnen wohl ebenso wie Prozessberichtsleserinnen und Prozessberichtslesern die Augen für eine weitere Binsenweisheit öffnet, dass es nämlich triftige und weniger triftige Gründe für die Überlastung der sächsischen Justiz geben muss. Eine Freibeuterpartei (ohne Freibeuterinnen?) hatte dies jüngst zum Wahlslogan erhoben und forderte glatt „Kreuzchor auch für Mädchen“.
Insgeheim ist das natürlich Nonsens. Aber da wir nun mal bei den Binsenweisheiten sind: Wer bei den Thomanern in Leipzig, den Kruzianern in Dresden, bei den Regensburger Domspatzen oder im Windsbacher Knabenchor mitsingen darf, steht in den jeweiligen Satzungen geschrieben. Das künstlerische Niveau ist entscheidend. Was, wenn da inmitten der Mutation plötzlich eine Stimmbrecherin mitsingen will? – Ganz abgesehen von der Infrastruktur dieser Chöre, bei denen die meisten Mitglieder im Alumnat untergebracht sind; ohne dass Mitgliederinnen in den Knabenzimmern vorgesehen wären.
Der Sender Jerewan könnte nun allerdings – ebenso wie jeder vernunftbegabte Mensch und jede Menschin nicht minder – höflich die sachliche Frage stellen, ob es sich wirklich um eine diskriminierende oder gar um eine sexistische Ausgrenzung handelt, wenn Mädchen nicht in Knabenchören und Knaben nicht in Mädchenchören mitwirken? Männer sollten bekanntlich auch keine Frauenparkplätze benutzen (die ja eigens zum Schutz vor übergriffigen Artgenossen geschaffen worden sind), von traditioneller Trennung zwischen mönchischen und Nonnenklöstern zu schweigen (da geht es noch nicht mal um Eignung).
Aber vielleicht hat Frau Anwältin mit ihrer Streit-, nein Sehnsucht nach Gleichbehandlung ja durchaus ein Fernziel: Endlich mal eine Reise mit ihrer Tochter in die Mönchsrepublik Athos. Möglicherweise gemeinsam mit zukünftigen Thomanerinnen und Kruzianerinnen?