Ursprünglich sind an dieser Stelle ja ein paar launige Bemerkungen zum volksfestigen Debakel unter dem Motto »50 Jahre Kunterbuntpalast« geplant gewesen. Damit sowie mit Kreuzchor und Kastelruther Spatzen, mit Frank Schöbel und »Freude schöner Götterfunken«, mit Howard Carpendale und City wurde letzten Samstag Dresdens »Kulti« gefeiert, laut Minipräsident Kretschmer die „kulturelle Herzkammer“ seiner Landeshauptstadt.
Aufgrund der jüngsten Nachrichten ist aber gar nichts mehr launig. Dreißig Jahre nach dem friedvollen Aufbruch in Leipzig – der erste und wohl auch letzte Tag, an dem man sich einmal im Leben ohne jede Einschränkung mit einer großen Menschenmenge verbunden gefühlt haben durfte – bricht die gewaltige Gegenwart ein. Schießt ein Mann auf offener Straße um sich, ein Mörder, ein Verbrecher.
Liebe Leute: Ludwig van Beethoven war zeitweise taub, hat der Menschenwelt aber dennoch großartige musikalische Botschaften geschenkt. Seine Vertonung von Friedrich Schillers »Ode an die Freude« erklang auszugsweise selbst bei der Haus-Party an der Wilsdruffer Straße. Alle Menschen werden Brüder. wie weit sind wir davon entfernt? Haben wir das Zuhören verlernt?
Gut, die Schwestern wurden damals vergessen, das hat der Aufklärer Schiller, das haben die Klassiker mit der postulierten Brüderlichkeit der Französischen Revolution gemein. Heute reden und schreiben wir gendergerecht, vergessen aber das Menschliche. Wieder und wieder.
Beethoven war taub, aber wir können ihn hören. Warum hören wir nicht? »Freude, schöner Götterfunken« in der 9. Sinfonie. »O Freiheit« in der Oper »Fidelio«. Joachim Gauck wird den Freiheitsbegriff heute Abend gewiss einmal mehr in der Semperoper aussprechen. Denn dort gibt es noch einmal die längst zur Legende gewordene »Fidelio«-Inszenierung von Christine Mielitz zu sehen. Die hatte am 7. Oktober 1989 ihre Premiere. Sie thematisierte in Musik und Wort, in Mielitz’ Szene und Peter Heileins Bühnenbild, sowohl grausame Unfreiheit als auch den Ruf nach menschlicher Freiheit. Der allgemeingültig ist, über sämtliche Grenzen von Staaten und Religionen hinausgehen muss.
»Sprecht leise, haltet euch zurück! / Wir sind belauscht auf Ohr und Blick …«
Wie sehr die Eindrücke der damaligen Premiere das Geschehen auf der Straße mitbestimmt haben, wird man möglicherweise nie erfahren. Es kursieren diverse Mutmaßungen und Gerüchte. Fest steht jedoch: die Kraft von Beethovens Musik hat, gepaart mit sinnlich überzeugendem Theater, Herzen geöffnet. Und ein gemeinschaftliches Verstehen evoziert, durch das sich jegliche Gewalt von Mensch gegen Mensch bedingungslos verboten hat.
Was aber macht dann solche Exzesse wie jenen in Halle möglich? Mit individueller Idiotie allein ist das nicht zu erklären. Vielleicht mit der Einsicht, dass Freiheit nicht grenzenlos ist, nicht unbegrenzt sein darf? Die Freiheit des Waffenbesitzes zum Beispiel, die Freiheit, über das Leben anderer Menschen bestimmen zu wollen…
Wohlfeile Politikerreden und mediale Schlagzeilen mögen ja gut gemeint sein, vielleicht aber ist heute mehr denn je die Verbindung von Aufklärung und Restriktion not-wendig. Gebildete, denkende Menschen und ein absolutes Waffenverbot. Dann darf auch wieder glitzerbunt gefeiert werden.