Selbst die 1978 in Stockholm uraufgeführte Oper »Le Grand Macabre« von György Ligeti kommt – passend zur hiesigen Untergangsstimmung? – erst jetzt auf die Bühne der Semperoper. Der ungarische Komponist hat sein 1978 in Stockholm uraufgeführtes Werk gerne als Anti-Anti-Oper bezeichnet, schließlich stand er seinerzeit in einem deutlichen Spagat zwischen dem Anspruch neuer Moderne und dem etwas absurden Drang nach Demokratie ausgerechnet im Musiktheater. Mitsprache mit künstlerischen Mitteln? Heutzutage undenkbarer denn je. Immerhin ist Europa geeint, wenn man von ein paar königsgläubigen Insulanern auf Untergangsabsprung mal absieht. Eine Oper mit Schlagzeilengarantie!
Ligetis Stück basiert auf dem Schauspiel »La Balade du Grand Macabre« von Michel de Ghelderodes. Der surrealistische Belgier ist heute fast nur noch durch sein absurdes Theater bekannt. Sein Stück war für den 1923 geborenen Ligeti ein gefundenes Fressen. Er verfasste das Opernlibretto gemeinsam mit Michael Meschke und hat dazu eine Musik komponiert, die heftige Attacken zum Klingen bringt. Das beginnt an Stelle der Ouvertüre mit einem Konzert für zwölf Autohupen, geht weiter mit stichelnden Abgesängen auf die seinerzeit ebenso beschworene wie verdammte Zwölftonmusik und präsentiert in garstiger Schönheit wundervolle Zitate von Franz Schubert bis hin zu Jacques Offenbachs »Can Can« und Scott Joplins’ »Entertainer«. Unterm Strich also ein völlig überdrehter Mix aus mittelalterlichem Totentanz, schwarzem Humor, Endzeitangst und Aberwitz, gepaart mit grotesker Moderne.
In »Le Grand Macabre« wird so ziemlich alles aufgeboten, was der Apokalypse dienlich sein mochte, nicht zuletzt mit geradezu sprechenden Namen: Nekrotzar, der Große Makabre persönlich, steigt „im soundsovielten Jahrhundert“ aus seinem Grab und sagt das Ende der Menschheit voraus. Er greift sich den äußerst trinkfreudigen Piet vom Fass als Sklaven, löst beim dümmlichen Herrscher Prinz Go-Go die Angst vor einem unheimlichen Volksaufstand aus, darf sich über den Hofastrologen Astradamors freuen, der einen gewaltigen Kometen auf die Erde zurasen sieht – und wird zum Schluss in einer feuchtfröhlichen Orgie schlicht unter den Tisch getrunken.
Anzüglichkeiten gibt es in dieser Oper zuhauf, mit witzigen Wortwendungen ebenso wie mit Astradamors’ Domina-Gattin Mescalina; nicht zu vergessen Amanda und Amando, die bei ihrem eifrigen Liebesspiel (und zwar im feuchten Grab des Makabren!) von dem ganzen Untergangstrubel überhaupt nichts mitbekommen haben. Ich bin gespannt, wie der für seinen Hintersinn bekannte Regisseur Calixto Bieito diese Anti-Anti-Oper auf die Bühne der Semperoper zaubern wird. Die Oper ist tot, es lebe die Oper?
Bieito bringt mit der Bühnenbildnerin Rebecca Ringst und dem Kostümbildner Ingo Krügler dasselbe Team mit, in dem er bereits in der vergangenen Saison Arnold Schöbergs aus dem Spielplan leider schon wieder verschwundenes Opernfragment »Moses und Aron« in Szene gesetzt hat. Die musikalische Leitung der Produktion liegt bei Omer Meir Wellber, dem Ersten Gastdirigenten des Hauses. Auch für ihn, die Sächsische Staatskapelle und den Sächsischen Staatsopernchor ist dies die erstmalige Beschäftigung mit dieser einzigen Oper, Pardon: Anti-Anti-Oper des 2006 in Wien verstorbenen Ligeti.
Ob wir noch einmal davonkommen werden? Und, wenn ja, wäre das eine gute oder eine schlechte Nachricht? Der Weltuntergang wird kommen, wir arbeiten ja dran. Nur sollte sich Dresden in diesem Fall nicht auf seine Rolle als Nachhut verlassen. In manchen schlimmen Dingen ist die Stadt auch Vorreiter gewesen.